Schnell hast du deine inzwischen getrockneten Kleider wieder übergestreift, dir Wasserschlauch, Waquif und Diadem am Gürtel befestigt und bist in die Höhle zurückgekehrt. Auf dem Rückweg gab es nur einen einzigen Abzweig und der führte hinab in ein dunkles Loch, in dem du keine Details erkennen kannst. Da war es für dich ein Leichtes, zurück zu der “Wohnhöhle” mit der Feuerstelle zu finden.
Auf dein lautes Rufen hin gab es weiterhin kein Lebenszeichen, so dass du mit der Zubereitung deines Beines begonnen hast. Schnell hast du ein Feuer entfachst. Die Keule legst du einfach quer über die beiden Astgabeln und wartest. Zunächst passiert erstmal gar nichts außer einem leisen Knistern und du fragst dich, wie lange so ein Bein wohl braten muss. Aus Langeweile kraxelst du ein wenig in der Höhle umher und untersuchst die Vorsprünge und Nischen. Du findest noch weitere getrocknete Pflanzenteile und kleine verkorkte Tiegel mit Sand oder anderem Pulver darin, auch eine Kette mit pelzigen Tierschwänzen und Zähnen und der Schädel irgendeines Tiers mit Hörnern.
Doch dann ruft dich ein grauenhafter Gestank schnell wieder an die Feuerstelle zurück. Das Fell hat Feuer gefangen und verkohlt gerade mit dem typischen angesengtem Geruch brennender Haare. Da du das in Flammen stehende Bein aber auch gerade nicht anfassen willst, stupst du es ungeschickt mit deinem Waquif aus der Halterung, woraufhin es in das Feuer plumpst und durch Kohle und Sand kullert, bis es, immer noch brennend, vor deinen Füßen zu liegen kommt. Der Gepard, der bisher neben der Schlafstätte gedöst hatte, öffnet verschlafen die Augen und betrachtet dich interessiert. Hektisch spritzt du etwas Wasser aus deinem Schlauch darüber und begutachtest dann die ganze Misere. Um das Fleisch herum hat sich eine ungenießbare sandig-verkohlte Schicht gebildet, die du nun mit deinem Waquif herunterschneidest. Darunter kommt an der einen Seite tatsächlich eine Schicht gegarten Fleisches zum Vorschein, in dass du nun triumphierend deine Zähne schlägst. Leider kein großes Vergnügen – der Brandgeruch ist irgendwie in das Fleisch eingezogen. Auch ist die Schicht aus garem Fleisch nur sehr dünn – darunter kommt direkt wieder blutiges. Enttäuscht spuckst du das Stück ins Feuer und legst das Bein wieder zurück auf die Astgabeln. Dein Magen hingegen hat die Botschaft deiner Geschmacksknospen wohl verstanden und fängt ungeduldig an zu knurren.
Diesmal beschließt du also das Fleisch zu bewachen und kommst auch schnell auf die Idee, dabei an dem vorstehenden Huf zu drehen, damit das Fleisch gleichmäßig geröstet wird. Bizarr kommst du dir vor, wie du dieser archaischen und irgendwie anspruchslosen Tätigkeit nachgehst, dennoch erfüllt dich ein gewisser Stolz, als du diesmal mit mürbem, zart gegartem Fleisch belohnt wirst. Mit vollem Bauch streckst du dich einige Zeit später gemütlich auf der Lagerstatt aus und beschließt ein bisschen zu dösen.
Eine Art Musik lässt dich hochschrecken. Das Feuer glimmt nur noch schwach und das Licht in der Höhle ist dämmriger geworden.
Der Klang von Trommeln und Gesang dringen an dein Ohr. Verwundert folgst du dem Klang bis an den Höhleneingang und trittst heraus.
Draußen ist es dunkel und deutlich kühler geworden. Im Licht der Mada siehst du eine Hand voll Menschen. Auf dein Erscheinen hin verstummt ihr Gesang und sie beugen vor dir ihre Köpfe. Dann betrachtet man dich genauer und ein Getuschel geht durch die Gruppe. Schließlich stupst man einen kleinen Mann nach vorne. Er nähert sich dir mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Argwohn. Dann grunzt er dir eine Frage entgegen. Es klingt für dich zwar nach Tulamidya, kommt aber dermaßen geknurrt aus seinem Mund, dass du ihn nicht verstanden hast. Er wiederholt ruppig seine aus zwei Wörtern bestehende Frage, jetzt verstehst du wenigstens das zweite: “Einsiedler?”.
Der Gepard tritt neben dir aus dem Höhleneingang und legt sich neben dir nieder. Erneut geht ein Raunen durch die Gruppe. Der misstrauische Ausdruck verschwindet aus dem Gesicht des bärtigen Mannes und er kniet sich vor dir in den Sand. Mit beiden Händen offeriert er dir einen getrockneten Flaschenkürbis, der oben mit einem Korken verschlossen ist. Er überschüttet dich nun geradezu mit einer Flut von Worten. Tatsächlich spricht er mit einem so grausamen Akzent, dass du nur Bruchstücke verstehen kannst. Es scheint um ein Kind zu gehen, das Hilfe benötigt. Auch Worte wie “weiser Effendi” und “Meister” fallen öfter. Wiederholt richtet er bittende Blicke auf dich und auch die Haltung der ganzen Gruppe suggeriert dir, dass man etwas von dir zu erwarten scheint. Insgesamt sind 3 Männer und 2 Frauen gekommen. Sie beobachten das Geschehen aus einigen Schritt Entfernung. Die Männer haben ein martialisches Aussehen. Sie sind bärtig und kräftig gebaut. Sie tragen scharfe Waffen an ihren Gürteln, die auch mit allerlei (Jagd-)Trophäen behängt sind. Alle tragen ein rote Tuch um den Kopf. Die Frauen sind verhüllt und sehen eher unscheinbar aus. Insgesamt wirken diese Menschen auf dich urtümlich und wild.
Wenn ich auch alles in dieser Einöde erwartet hatte, einen Haufen tanzender Wilder sicherlich nicht. Dementsprechend brauche ich einen Augenblick um das zu verarbeiten, was ich da gerade sehe und meine Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Offensichtlich bin ich in die Höhle eines (ihres?) Schamanen oder Kräuterkundigen geraten und nun halten die Wilden mich für ebendiesen.
Da ich nicht den Eindruck habe, dass es sich bei meinen neuen “Gefolgsleuten” um Freunde der gepflegten Konversation handelt, versuche ich zunächst die emotionslose Maske des Bey-Sohnes und Herrschers aufzusetzen und mich gemessen in der Runde umzusehen: Wenn es um ein Kind geht, versuche ich dieses in der Menge zu finden. Sollte sich das Kind in der Gruppe der Wilden befinden, möchte ich deutlich machen, dass ich es mit in die Höhle nehmen will. Sollte man hingegen von mir erwarten, dass ich mich der Gruppe anschließe, so würde ich unter dem Vorwand “meine Kräuter holen zu müssen” in die Höhle zurückkehren. Drinnen schaue ich mich dann panisch nach dem echten Bewohner der Höhle um und rufe in alle Nischen und dunklen Löcher hinein, die ich finden kann. Wenn ich niemanden finde werde ich mir den ein oder anderen Tiegel schnappen und die Gruppe tatsächlich begleiten, fürchte ich doch gerade, dass ein “Ich kann euch nicht helfen” auf wenig Akzeptanz stoßen wird.
Dein herrischer Gesichtsausdruck lässt den Sprecher für einen Moment verstummen. Du lässt den Blick schweifen, auf der Suche nach einem Kind. In der unmittelbaren Umgebung siehst du nur Erwachsene, doch ist es dir als hättest du eben noch etwas gehört. Tatsächlich – hinter einem Felsen schnauben Pferde. Möglich, dass man das Kind zunächst bei den Tieren zurückgelassen hat. Da du beschlossen hast, in der Rolle des Schamanen zu bleiben holst du tief Luft und presst so kehlig und herrisch wie möglich hervor: “Kind!” und deutest auf die Höhle. Der Sprecher zieht sich in die Gruppe zurück und kurz darauf gellt ein Pfiff durch die Lüfte. Darauf hin tritt ein weiterer Mann hinter dem Felsen hervor, der ein Pferd am Zügel führt. Das Pferd zieht eine Art Bahre aus zwei langen Ästen und geflochtenen Zweigen. Darauf geschnallt liegt in Felle gewickelt ein etwa 12 Götterläufe zählender Junge. Er wirkt blass und schmächtig im Vergleich zu den bärtigen Hünen die vor deiner Höhle Aufstellung bezogen haben, wenn auch seine Hautfarbe und sein wallendes Haupthaar zu den übrigen seiner Sippe passen. Seine Augen sind von dunklen Ringen umgeben und seine Lippen schmal und zusammengepresst. Er wirkt schwach und in sich gekehrt, scheint aber körperlich auf den ersten Blick unversehrt zu sein. Man löst die Gurte und heißt ihn aufzustehen. Ohne großen Elan kommt er der Aufforderung nach. Mit leerem Gesichtsausdruck und zu Boden gerichtetem Blick steht er vor dir. Der Mann der vorhin zu dir gesprochen hat richtet wieder das Wort an dich: “Böse Geister innewohnen! Krrb brr krax…. Sprache rauben…grumpel kraa… Gepardmann helfen?!”
Ich muss mich sehr konzentrieren meinen erhabenen Blick nicht fallenzulassen und gegen einen Gesichtsausdruck schierer Panik zu tauschen. So atme ich tief durch, betrachte den Jungen von oben bis unten ergreife ihn an der Schulter. An den Gruppenführer gewand fahre ich nach einem kurzen und lauten räuspern möglichst kehlig und bestimmt fort: „Ich befrage gute Geister. Kehrt morgen Abend zurück!“
In mir kommt der selbstsüchtige Gedanke auf dass ich bis morgen Abend ja über alle Berge sein kann, wenn ich will. Was scheren mich irgendwelche wilden Wüstenbewohner. Womöglich Brüder der Novadi.
Wenn ich den armen Burschen so betrachte kommt aber auch ein wenig Mitleid in mir auf, wenn ich auch keine Ahnung habe was ich jetzt eigentlich tun soll.
Zunächst schiebe ich ihn vor mir her in die Höhle hinein und bringe ihn in den Wohnabschnitt. Den Geparden fordere ich mit einem kurzen „Hey“ und einem Kopfnicken auf mir zu folgen und dann lassen wir die Gruppe stehen.
Zunächst platziere ich den Jungen mal am Feuer und gebe ihm etwas zu essen. Mal sehen ob der Bursche wirklich seine Sprache verloren hat.
Der kleine bärtige Mann verneigt sich noch einmal vor dir, spricht dann ein paar Worte zu dem Jungen, die sich noch kehliger anhören als die zu dir gesprochenen. Er legt dabei beide Arme auf seine Schultern. Schließlich gibt er ihm einen aufmunternden, ziemlich kräftigen Schubs in deine Richtung. Anschließend zieht er sich mit dem Rest seiner Sippe zurück. Dich schaudert, als er sich abwendet, weil mittlerweile ziemlich kalt hier draußen geworden ist, aber auch weil dir im schräg einfallenden Licht erstmalig gewahr geworden ist, dass es sich bei den vielen Linien in seinem Gesicht, die zu zuerst für eine Art Schmuckbemalung gehalten hast, um Narben hadelt, die man sich unter seinensgleichen scheinbar zur Zierde zufügt…
Jetzt wendest du dich aber dem Jungen zu, der unschlüssig neben dir wartet. Du führst ihn in die Höhle und redest dabei beruhigend auf ihn ein. Gepard folgt euch auf dein Zeichen. In der Hoffnung dem Jungen vielleicht eine Äußerung zu entlocken, stellst du ihm auf dem Weg immer wieder mal Fragen nach seinem Alter und Namen, aber erhälst keine nennenswerte Reaktion. Auf dem Weg in den Wohnbereich der Höhle müsst ihr sehr auf euren Tritt achten, denn inzwischen ist es dunkel geworden, und das Licht der Mada erhellt die Höhle kaum. Zum Glück glimmt dein Feuer noch etwas und wirft euch ein rötliches Licht entgegen, nachdem ihr mit Kraxeln die erste Vorhöhle durchquert habt.
Du reichst dem Jungen die Reste der Keule. Er zögert kurz, ergreift sie dann und beginnt gierig sie abzunagen, ungeachtet aller Fellreste, Knorpels und angesengten Teile. Dabei erinnert er dich eher an ein ausgehungertes wildes Tier als einen Menschen. Du wendest dich ab und legst neues Brennmaterial ins Feuer. Im tanzenden Licht der Flammen bietest du ihm einen Sitzplatz dir gegenüber an, und setzt dich selbst auf einen kleineren Steinbrocken. Die Höhle sieht im Flackerlicht ganz anders aus, allerdings nicht weniger majestätisch.
Nachdem der Junge “gefressen” hat, seht ihr euch eine Weile schweigend an. Im Gesicht des Kindes erkennst du eine Mischung aus Ehrfucht, Angst und Sorge, ja jede Menge Sorge für solch ein schmales Bürschlein. Mit forschendem Blick betrachtet der Kleine dich. Jetzt wo er gegessen hat, wirkt er nicht mehr ganz so apathisch, wenn auch immernoch eingefallen und bedrückt. Seine Augen blitzen wach und aufmerksam und scheinen dich genauso einschätzen zu wollen, wie du ihn. Sein Alter kannst du nicht genau ermessen, er ist zwar noch ein Kind, aber definitiv kein ganz kleines mehr, du würdest ihn irgendwo zwischen 11 und 14 Götterläufen einsortieren. Sein Gesicht ist glatt, ohne Narben, seine Kleidung eine Mischung aus Fellen und besticktem Wollfilz. In einer Felltasche am Gürtel scheint er einige Utensilien bei sich zu tragen, und du entdeckst eine in Tierknochen gefasste steinerne Klinge sowie eine Pfeife aus Knochen.
Schließlich wagst du einen Schuss ins Blaue. Du weißt eh nicht, ob du ihm helfen kannst, oder willst und ob er deine Sprache versteht, also sprichst du ihn unverblümt an: “Komm Junge, mir brauchst du doch nichts vorzumachen! Sag ehrlich, hast du tatsächlich die Sprache verloren?”
Ein ängstliches kurzes Flackern in seinen Augen vermittelt dir den Eindruck, dass er dich sehr gut versteht, und auch deine Vermutung nicht ganz verkehrt zu sein scheint, allerdings setzt der Junge sofort wieder seinen undurchsichtigen Gesichtsausdruck auf und zuckt schlicht mit den Schultern. Ausdruckslos und fast trotzig starrt er dich an.
“Wie du willst,” antwortest du und…
“… vielleicht hättest du in mir einen Verbündeten, der dir bei dem was, dich bedrückt helfen kann. Es ist nämlich so, dass …” beginne ich. Ach, das hat doch eh keinen Zweck, denke ich bei mir. Dies ist doch nur ein junger Wilder, mit dem kann man vermutlich eh keine halbwegs intelligente Konversation führen und er wird meinen Argumenten gegenüber nicht aufgeschlossen sein.
“… die Geister denen nicht helfen, die sich nicht helfen lassen wollen!” schließe ich etwas lauter und ärgerlicher als eigentlich geplant. “Du bleibst hier sitzen. Mach mir keinen Ärger!” fahre ich ihn an, während ich energisch aufstehe und noch einen Scheit Holz ins Feuer werfe. Dem Geparden, der durch meine hastige Bewegung sicherlich den Kopf gehoben hat und mich fragend anschaut, befehle ich (wie seltsam selbstverständlich und hoffend, dass er auf mich hört): “Pass auf den Burschen auf.”
Dann schnappe ich mir einen bereits brennenden Scheit und schaue mich noch einmal in der Höhle um. In irgendeinem Winkel wird sich doch wohl der wahre Schamane verstecken. Soll er sich doch mit dem trotzigen Burschen herumschlagen. Als hätte ich keine anderen Sorgen.