Sosehr du ihr auch schmeichelst, die Windsbraut bleibt beharrlich – “Ohne Einladung kommt er nicht rein! Wer laut und wütig den Einlass begehrt, dem bleibe dieser auf immer verwehrt!” reimt sie, nicht ohne ein schadenfrohes Kichern.
So trittst du zuletzt also noch einmal zu Maruch und überreichst ihm das eingeschlagene Diadem. Er nimmt es mit ernstem Blick entgegen. “Mich schreckt nicht die Gefahr. Doch dir zuliebe, werde ich Vorsicht walten lassen…” Dann greift er nach einer Kette, die er um den Hals trug und streift sie dir über: “Dies soll der Pfand für dein Paket sein. Und eine Erinnerung dass draußen jemand auf dich wartet – sollte es dort drinnen allzu schön sein. Sie gehörte meiner Mutte und ich hätte sie sehr gern zurück…” er blinzelt heftig. “Nun vielleicht ist es sogar besser, wenn einer draußen wartet…” murmelt er. “Und nun wollen wir sehen, ob ich etwas von dir gelernt habe:…” Er wendet sich um und ruft die Windsbraut: “Ich bleibe hier. Doch sage mir: wenn drinnen ihr – erledigt habt, wozu er kam – sag mir ein Wort, nenn mir den Ort, wo kann ich dort, den Freund später schließen in den Arm!”
Das Windkind kichert über seinen plumpen Reimversuch – und flüstert dir sogleich ins Ohr: “Er mag vielleicht kein Untier sein, doch reimen kann er auch nicht, nein!… Naja, wenn du dir sicher bist, dass er nicht so übel ist, kannst dus ihm verraten: Da oben soll er warten!” und es weist dir den Steinbogen oben an der Kante.
Du teilst dies Maruch mit, und er zieht dich noch einmal zu sich heran: “Ich erwarte deine Rückkehr mit Unruhe.” raunt er dir zu: “Ich werde dort oben lagern, bis dass ihr wohlbehalten zurückgekehrt seid!”, er drückt noch einmal fest deine Hand, dann löst er sich von dir. “Du solltest besser los, bevor es sich umentscheidet…”
Du überprüfst noch einmal dein Gepäck, dann nickst du der Windsbraut zu, die dich ungeduldig umschwirrt. “Es kann losgehen! – Wie soll ich…?” – doch die Frage erübrigt sich, denn nachdem sie sich irrsinnig schnell im Kreis gedreht, und dabei jede Menge Staub aufgewirbelt hat, manifestiert sich die durchsichtige Gestalt nun in Form eines Pferdes vor dir. Das heisst, genaugenommen eines Pferdevorderteils, dessen rückwärtiges Ende in eine Wolke aus Luftwirbeln und Staub übergeht. Die Vorderhufe stampfen ungeduldig in der Luft, und der Kopf nickt dir aufmunternd zu. Du schwingst dich auf den Rücken und hältst dich an der Mähne fest. Du bist froh, dass du so ein erfahrener Reiter bist, denn die Strähnen scheinen aus Wolkenfetzen zu bestehen, und bieten dir zwar Halt, jedoch kaum festen. Das Elementarwesen schnaubt einmal, und beginnt dann den abenteuerlichen Ritt. Zwei Schritte prallen noch auf dem Boden auf, danach galoppiert es durch die Luft. Du winkst dem staunenden Maruch zu, der unter euch immer kleiner wird. Du wirst immer höher getragen und stellst fest, dass das Fliegen auf diese Weise einen ganz eigenen Reiz besitzt. Da du nicht “steuerst” kannst du den Blick mehr schweifen lassen und bewunderst die skurile Felslandschaft unter euch. Gleichzeitig seid ihr um einiges schneller unterwegs, als du mit deinem Fluggerät sonst, und das verursacht ein Prickeln im Bauch, an das du dich glatt gewöhnen könntest. Euer Flug geht in großem Bogen um den Felsbogen herum. Dann jedoch schlägt deine Begeisterung in Panik um, denn mit hoher Geschwindigkeit hält dein Träger direkt auf den Schatten des Tores unten in der Schlucht zu. Ein Schrei bleibt dir im Halse stecken, als ihr in vollem Galopp auf die Felswand trefft. Voller Entsetzen schließt du die Augen, der erwartete Aufprall jedoch bleibt aus. Stattdessen durchfährt deinen Körper das Gefühl unendlich lang in die Länge gezogen zu werden. Gleichzeitig beschleunigt ihr immer noch weiter, jetzt aber senkrecht nach oben. Dir wird übel. Dann endlich stoppt der wilde Ritt. Du rollst über etwas Weiches. Die Wolkenfetzen, an denen du dich festklammerst lösen sich zwischen deinen Fingern auf. Die Stimme der Windsbraut säuselt: “Da wären wir! Du findest den Herrn sicher im Palast…” dann ist es ganz still. Nein. Stimmt nicht. Du vernimmst ein leises Plätschern.
Als der Schwindel nachlässt, öffnest du die Augen. Du liegst am Ufer eines kleinen Sees. Das Wasser blubbert. Über dir wölbt sich der besagte Felsbogen. Nur ist die Schlucht verschwunden, die sich an der Stelle befinden müsste, auf der du liegst. Der Boden hat hier überall das selbe Niveau wie das Felstor. Und diese Ebene ist überzogen mit saftig grünem Gras und Dattelpalmen mit rauschenden Blättern. Soweit du erkennen kannst, bist du allein. Am anderen Ufer des Sees erhebt sich ein unglaublich hoher aber schmaler Palast. Im Licht der Abenddämmerung strahlen die weißen Wände goldfarben. Die Mauern und Zwiebeltürme erstrecken sich bis in den Himmel und wirken irgendwie wattig. Du rappelst dich auf und läufst langsam am Ufer des Sees auf das Gebäude zu. Das Gehen fällt dir leicht. So unwirklich leicht, dass du einen vorsichtigen Luftsprung probierst. Überrascht schnellst du mehrere Schritt in die Höhe, und sinkst auch nur langsam wieder zu Boden. Du experimentierst weiter, und entwickelst eine ganz neue Fortbewegungsart – schräg vorwärts in die Luft springen, und beim nächsten Bodenkontakt wieder ganz sachte vorwärts abstoßen. Das macht Spaß! Auch hoch kannst du springen, je stärker du abspringst, desto höher. Du schlägst ein paar Purzelbäume in der Luft. Ob du wohl über den kleinen See hinwegsetzen könntest? Wenn du genug Anlauf nimmst bestimmt! Eine Weile bist du ganz mit diesem Phänomen der Leichtigkeit beschäftigt, dann besinnst du dich auf den Grund, warum du hier bist. Du setzt also deinen Weg zum Palast fort. Dort angekommen, erlebst du schon wieder eine Überraschung. Die Mauern scheinen aus Wolken zu bestehen und du erkennst ringsum kein Tor. Als du die Mauer vorsichtig mit den Händen berührst, sinken sie in dem kühlen, luftigen Baumaterial ein. Du drückst etwas stärker, und dein Arm versinkt komplett. Nun denn. Als sich nach lautem Rufen und kurzem Abwarten keiner meldet, lehnst du dich mit dem ganzen Körper an die Mauer – und sinkst langsam hindurch. Nun stehst du in einem blendend weißem, leeren Innenhof. Du blickst die hohen Türme empor und bemerkst auf den oberen Ebenen Bewegung. Kleine Gestalten fliegen ein und aus, und auch die Türme selbst scheinen im Wind immer wieder Form und Position zu verändern. Hier unten wo du stehst, scheint nach wie vor niemand von dir Notiz zu nehmen.
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Fasziniert beobachte ich noch einen Augenblick das emsige Gewusel und bewundere die surreale Majesästik dieses Ortes. “Wenn Rashid das hier sehen könnte”, denke ich spontan. “Er hätte wohl eine Weile genug Inspiration. Wenn nicht sogar zu viel.”
Ich blicke noch einmal umher. Nun gut, bisher hat mir hier ja niemand etwas getan. Ich habe also keinerlei Anlass das mir gewährte Gastrecht zu beschmutzen und hier einfach so herum zu stolzieren. So rufe ich denn nach kurzem Nachdenken mit deutlicher, wenn auch nicht rufender, Stimme:
“Verzeiht, ihr guten Wesen emsig und hell,
leiht mir euer Ohr und beantwortet mir schnell:
Ich bitte bescheiden um des Hausherren Gehör,
nichts böses im Sinn ich hab, das schwör
ich, so wahr ich hier stehe und suche mit Herzen voll Leid
die Gefährtin verloren, eine gar zauberhafte Maid.
Wollt ihr mir helfen, s’ist für euch sicher nicht schwer,
so dankbar und freudig, ja glücklich, ich wär.“
Vielleicht stimmt meine Ansprache die Bewohner dieses Ortes ähnlich milde wie die Windwichtel außerhalb.
Tatsächlich, deine Worte ziehen Aufmerksamkeit auf dich. Ein ganzer Schwarm kleiner körperloser Luftwesen kommt auf dich zugewirbelt und zwitschert klingelnd durcheinander. “Besuch, Besuch!” “Sagt dem Herrn Bescheid!” “Nein, ruft die Herrin” “Lasst mich nach Vorne” “nein mich!”… wuseln sie durcheinander. Dir wird von dem Gebrause und Geplappere schon fast wieder schwindelig, als endlich ein etwas größeres Wesen vor dir Gestalt annimmt und eine tiefe Verbeugung sehen lässt: “Willkommen im Palast der Sinnesfreuden!” spricht er, mit angenehm langsamer (das heißt für dich normaler) Sprechweise: “Verzeih, dass ich dich nicht gleich begrüßt habe… Wir haben so selten Besucher, seit der Herr seine ständige Behausung hierher verlegt hat… und nun gleich zwei in so kurzer Zeit… aber was red ich! Du bist bestimmt hungrig und erschöpft, komm, ich werde dir die Zeit vertreiben, bis die Herrschaften Zeit für dich haben… ich bin Haushofmeister Soroush.. Ich zeige dir alles…” Und bevor du so recht weißt, wie dir geschieht, hat der eifrige Haushofmeister deine Hand ergriffen und zieht dich mit sich in die Lüfte. Ihr fliegt durch eine Wolkenwand in einen Speisesaal, wo eine reich geschmückte Tafel sich auf Soroushs Wink hin mit den erlesensten Speisen füllt. “Willst du speisen?” als du nicht sofort antwortet, hat dich Soroush schon wieder weiter gezogen, durch die Decke in ein mit Kissen ausgelegtes prächtiges Gemach: “Oder ausruhen? All deine Wünsche sollen dir erfüllt werden!” “Ich würde gerne…” hebst du an zu antworten, aber schon hat der eifrige Geist dich weiter gezogen, und erst nachdem du noch die Badestube, die Bibliothek, das Atelier und das Musizierzimmer erblickt hast verlangsamt der gute Soroush sein Tempo soweit, dass du einen ganzen Satz von dir geben kannst, ohne unterbrochen zu werden. “Ich danke dir sehr für deinen Diensteifer Soroush, doch bin ich auf der Suche nach meiner Freundin Larissia! Du erwähntest vorhin, dass vor kurzem noch ein Besucher zu euch kam?” “Jajajajaja! Die Herrin! Du wünscht sie zu sprechen? Ich lasse gleich nach ihr schicken!” und er klatscht zweimal in die Hände, und sendet einen der kleinen Luftgeister auf Botengang. “Doch bis dahin genieße doch einmal die Annehmlichkeiten unseres Palastes!” Und mit einem Fingerschnipp seid ihr wieder in dem Raum mit den Kissen, in die er dich sanft drückt. Eindeutig weibliche Luftgeister umschwirren euch und reichen dir Teller mit Obst, Naschwerk und erfrischenden Getränken, auch eine Wasserpfeife wird dir angeboten…
Lecker schaut es alles aus, und duftet verführerisch. Wie verbringst du die Wartezeit?
Wohl wissend, dass sich all das hier sehr wahrscheinlich um eine beeindruckende Illusion handelt, will ich meine Gastgeber trotzdem nicht beleidigen und greife beim Dargebotenen zu. Während wir warten versuche ich Soroush in ein Gespräch zu verwickeln und etwas über die Geschichte dieses Ortes und des Dschinni zu erfahren. Wie lange ‘der Herr’ denn schon in diesem neuen Domizil wohnt. Wann er umgezogen ist frage ich dann. Ich erkundige mich, wie lange Soroush ihm schon dient und schaue ob sich ein Geplänkel entwickelt. Mir ist klar, dass die Wesen hier möglicherweise nicht in menschlichen Maßstäben denken und kommunizieren können, aber vielleicht erfahre ich ja so das ein oder andere Nützliche. Sollte sich die Warterei verdächtig lang hinziehen, so dass ich das Gefühl bekomme hingehalten zu werden, so werde ich mich zunächst höflich nach der Dauer der Wartezeit erkundigen, dann aber energischer werden: “Ich bin ein Sohn fürstlichen Geblüts und fürstlich habt ihr mich behandelt. Doch nun ist meine Geduld am Ende und ich erwarte nicht mehr länger hingehalten zu werden. Ich erwarte nun mit dem Herren, einer Person meinen Standes zu sprechen UND die Domna Larissia zu sehen. Soroush, was ist das hier für ein Spiel?”