Rashdul (4)

Reise durch die Lüfte

Kaum dass du die Dattel zerbeißt beginnt sich alles um dich rasend schnell zu drehen. Ein Brausen erfüllt deine Ohren, und in deinem Kopf säuselt eine zischende Stimme „So sei es!“

Den Sprecher kannst du nicht erblicken, aber du spürst, wie dein Körper immer höher gehoben wird. Sicherheitshalber presst du Ramal eng an dich, der seine Krallen in deine Robe geschlagen hat, und dich mit aufmerksam aufgestellten Ohren mustert. Ihr bewegt euch durch dich Luft. Dein Auge hat jeden Orientierungspunkt verloren. Du vermagst nicht zu sagen, ob ihr euch noch in derischen Sphären bewegt oder wieder in eine Geisterwelt eingetaucht seid. Es ist wolkenhell. Ab und zu wirbeln schemenhafte Bilder in blassen Farben an dir vorbei, aber du kannst sie nicht greifen, so schnell ziehen sie vorbei. Wieviel Zeit vergangen ist, als sich die Geschwindigkeit schließlich wieder verringert, vermagst du nicht genau zu sagen. Als ihr langsamer werdet, zerreißt der Wolkenschleier vor deinen Augen und du wirst unter euch einer Stadt gewahr.
Es ist fürwahr ein atemberaubender Anblick. Ihr schwebt in den Wolken über Rashdul. Unter euch glitzert der Mhanadi im Madalichte. Darüber erheben sich die schroffen, düsterroten Felsenklippen in die sich die Stadt gebaut wurde. Auf dem höchsten Felshang thront der Fürstenpalast, darunter kleinere Bauten der Oberstadt. Unmittelbar zieht auch der graue Gebäudekomplex auf einem fünfeckigen Felsplateau inmitten der Unterstadt deinen Blick auf sich. Aber dein Träger scheint das Ziel noch nicht sofort ansteuern zu wollen, sondern fliegt erst eine langsame Schleife über der Stadt, so dass du in Ruhe den Blick schweifen lassen kannst.
Du blickst langsam vom Fluss in Richtung Stadt. Bereits vor den Stadtmauern, zwischen der flachen Lehmmauer der Unterstadt und den fruchtbaren Reis- und Kornfeldern am Mhanadi, stehen viele weiße Zelte der Wüstenreiter. Hier lassen Söldner an Lagerfeuern kunstvoll ihre Säbel wirbeln, um vorbeiziehende Kaufleute zu beeindrucken. Durch ein schlichtes Tor erreicht man die weitläufige Unterstadt, aus niedrigen gelbe Häuser. Ihr fliegt hoch darüber hinweg, und auch über den großen Basar. Du erkennst gut das rege Treiben dort. Wenngleich er kleiner ist als bei euch, fühlst du dich sehnsüchtig nach Mherwed zurück versetzt. Mit der gleichen Vehemenz preist man hier Wein und frisches Obst an, präsentieren Geschichtenerzähler und Schlangenbeschwörer ihre Künste, und rauchen Teppichhändler eine Pfeife mit dem zufriedenen Kunden. Vom Bazar führt eine gepflasterte Allee mit prächtigen Zypressen und Pinien vorbei am Hesinde- Tempel, bergan bis zum Madamaltor, hinter dem die berühmte Oberstadt liegt. Während ihr darüber fliegt schimmern die kupfernen Torflügel in der sichelförmigen Mauer im silbernen Abendlicht, wie als wollten sie ihrem Namen alle Ehre machen. Die Oberstadt besteht aus einem wahren Labyrinth an alten Straßen und Gassen, von denen nur die wenigsten weiter hinauf bis in die obersten Paläste führt. Hier halten Wächter und Söldner aufmerksam Wache für die wenigen Fürsten und Zauberer die dort oben residieren. Aus der Luft erkennst du noch andere markante Gebäude:
Gleich zu Beginn hattest du schon aus der Ferne den Fürstenpalast ausgemacht – überragt er doch die gesamte Stadt und ist auf ihrem höchsten Punkt erbaut. Vier weiße Zwiebeltürme ragen machtgebietend in die Höhe, das Hauptgebäude wird von einer Messingkuppel geziert. Umgeben ist der schneeweiße Palast von Felsen und weitläufigen gut gepflegten Gartenanlagen nebst Wasserfall.
Weiter unten in der Oberstadt siehst du einen großen Platz auf dem sich zwei nachtschwarze Gebäude gegenüber stehen – sie sehen ganz wie Boron- Tempel aus.
Auch der der Rahja- Tempel ist anhand seiner die Göttin erfreuenden länglichen Form aus der Luft einwandfrei auszumachen.
Doch nun endlich nähert ihr euch dem Gebäude der Pentagramma- Akademie, welches den Fürstenpalast noch an Größe und Absurdität übertrifft, aber komplett in schlichtem grau gehalten ist. Die fünf Seiten der Außenmauer sind jeweils in der Mitte mit einem fast 6 Schritt hohen Torbogen versehen, der aber verschlossen ist. Innerhalb der Grundmauer erstrecken sich verschiedene Gebäudetrakte. Fast alle mit spektakulären, unterschiedlich hohen Türmen oder Anbauten. Vom höchsten Turm flammt hin und wieder eine magische Entladung in den Himmel. Sein Zwiebeldach ist ganz durchscheinend, so dass du im Inneren vereinzelt Magi die Sterne betrachten sehen kannst. Im Innenhof siehst du allenthalben Teppiche mit Magiern landen und registrierst insgesamt eine für diese Tageszeit rege Geschäftigkeit. Niedere Elementargeister fegen den Hof, hängen Blumenranken auf und schieben Sitzkissen hin und her. Man scheint eine Festlichkeit vorzubereiten.
Du siehst auch allenthalben Magier und ältere Studiosi disputierend umhergehen. Einige wenden den Kopf als du vorbeischwebst, gehen dann aber unbeeindruckt weiter ihren jeweiligen Beschäftigungen nach.
Langsam umschwebt ihr nun die Gebäude, fliegt einmal über die Bogenschussanlage und einen Garten, der in der Kontur eines Eiskristalls angelegt ist, und in dem geheimnisvoll schimmernde, fragile Blumen glitzern, hinweg – in den Hauptgebäudetrakt hinein. Ihr landet in einer großen fünfeckigen Halle. An ihrer hohen Decke ist ein kunstvolles Pentagramm gemalt. Die Wände sind mit überlebensgroßen Gemälden ehemaliger Spektabiltitäten und den aktuellen Magistern geschmückt. Neben dem großen, zugemauerten Eingangstor, auf welches du jetzt von der Innenseite schaust, steht eine lebensechte Steinstatur eines in Hofgewand und Turban gekleideten Wesirs, mit Schreibfeder und Pergament in der Hand. Sie steht nicht auf einem Sockel, der Unterleib geht fließend in den Steinboden der Halle über, so dass er fast wirkt wie ein Mensch, der dort steht. Ansonsten ist die Halle menschenleer. Dein Träger setzt euch sanft inmitten der Halle ab, verbeugt sich dann vor dir (du meinst kurz den Umrisse eines jungen Mannes in der Luft erkannt zu haben), wispert: „die Eingangshalle der Magierakademie zu Rashdul, da sind wir!“ und verschwindet dann. Erleichtert springt Ramal von deinen Armen und schüttelt sein Fell auf. Auch du reckst dich kurz und schüttelst die Arme. Nicht die schlechteste Art zu reisen – viel Zeit ist sicher nicht vergangen, und der Flug hat dich überhaupt nicht angestrengt, von dem etwas krampfhaften Festhalten deines Vertrauten einmal abgesehen. Du lässt den Blick in der Halle schweifen und schickst dich an, die Bilder etwas genauer zu betrachten, als eine tiefe, knirschende Stimme dich unterbricht. Sie spricht sehr langsam und getragen, jede Silbe wiegt unendlich schwer: „WILLKOMMEN, REISENDER. ICH BIN DER WÄCHTER DER TORE DER AL’PANDJASHTRA!“ Nach einem kurzen Moment der Desorientierung registrierst du, dass der steinerne Wesir sich dir zugewendet hat, mit eiserner, aber nicht unfreundlicher Miene spricht er weiter: „ICH BEGRÜßE DICH IM NAMEN SEINER SPEKTABILITÄT DSCHELEF IBN JASSAFER, BITTE NENNE MIR DEN NAMEN UND DEN GRUND DEINES BESUCHES!“

Veröffentlicht von Mirya

Ein lebensfrohes kleines Bündel, das üblicherweise nicht auf den Mund gefallen ist, gute Gesellschaft ebenso wie gutes Essen genießen kann, und die sich wünscht es ginge immer allen überall gut.

Beteilige dich an der Unterhaltung

  1. Avatar-Foto
  2. Avatar-Foto

3 Kommentare

  1. Kurz bin ich über die gigantische Gestalt erschrocken, doch dann denke ich bei mir: “Ah, höfisches Geplänkel. Nun … das kann ich!” und antworte dem großen steinernen Diener selbstsicher: “Habt dank, oh ehrenwerter Wächter, für eure freundliche Begrüßung. Auch ich möchte euch ergebendste Grüße aus Fasar überbringen. Mein Name ist Cherek ibn Sahil und ich bin Studiosus an der Akademie dort.” Ich deute trotz meiner eh schon niedrigen Position eine Verbeugung an. “Dies edle Tier hier an meiner Seite ist mein Jagdpardel Ria. Ich besuche die Al’Pandjashtra um mich als Gastschüler den Studien der Magie in diesen erlauchten Hallen zu widmen.”

    Ich mache eine kleine Kunstpause und schaue mich dann etwas hilflos um: “Wenn ihr so freundlich sein sollt: Wo befinden sich denn die Schlafräume der Gasthörer?”

  2. Dein Gegenüber mustert dich ungerührt. Nach einer Pause, in der du selbst schon fürchest am Boden festzuwachsen antwortet er knirschend: „STUDIOSUS CHEREK! MÄNNLICH. GASTHÖRER. SCHLAFSAAL DER DÄMONOLOGISCHEN CANDIDATI. AUßENMAUER LINKER HAND. DRITTE ETAGE. MELDE DICH BEIM QUARTIERMEISTER AN DEN STÄLLEN. AUßENMAUER HINTEN. MORGEN FINDET DIE VERABSCHIEDUNG DER ABSOLVENTEN STATT. ANSCHLIEßEND 4 WOCHEN UNTERRICHTSFREIE ZEIT. DIE BIBLIOTHEK STEHT ZUM SELBSTSTUDIUM OFFEN.

    Danach verstummt und erstarrt der Wesir wieder, so du nicht erneut das Wort an ihn richtest.

    Falls du die Halle verlassen möchtest, kannst du die auf dem Lageplan orientieren (siehe email).

  3. Einen kurzen Augenblick bleibe ich mit offenem Mund vor der Statue stehen. „Magier“ denke ich geringschätzig bei mir, mache dann auf dem Absatz kehrt und wende mich in die gewiesene Richtung.
    „Komm Rrrr … ia, wir suchen die Ställe“ fordere ich Ramal auf mich zu begleiten.

    Meine Orientierungslosigkeit kompensiere ich, indem ich aufs Geratewohl jüngere Schüler anspreche und nach dem Weg frage.
    So hoffe ich denn denn Stallmeister zu finden und in gleicher, höflicher, respektvoller Art und Weise nach einem Quartier zu fragen. Sollte er oder jemand anderes mir sehr geschwätzig und unbedarft erscheinen so versuche ich mehr über das Fest herauszufinden. Fragen nach Kerkern spare ich mir für später auf. Zu Zaubern traue ich mich für den Augenblick auch noch nicht.

    Auf dem Weg denke ich noch bei mir: „Dschelef ibn Jassafer … So habe ich mich denn wohl getäuscht was den Rang Dunchabans angeht. Und beeilen muss ich mich auch. Nicht auszudenken wenn auch er die Akademie morgen verlässt … und Larissia mit sich nimmt.

    Aber zunächst reift in mir der Gedanke all das auf dem Fest heute Abend herauszufinden.

Schreibe einen Kommentar