Es ist an der Zeit (44)

Die Tage nach Daras Tod vergehen wie im Fluge. Vieles dreht sich um ihre Bestattung. Letztlich war sie eine sehr alte Frau und sicher bereits eine Last für die Bauernfamilie. Auf der andren Seite war sie eine Matriarchin, die von ihrer kleinen Kammer aus Dinge im Einklang hielt. Du hast nach ihrem Tod gerade abends vor dem Schlafen immer wieder an ihre Worte denken müssen, an die Fäden, die eure gemeinsame Mutter Satuaria spinnt und die sich eure Wege kreuzen ließen. Scheinbar zur rechten Zeit.

Vor allem aber denkst du über diesen Schleier nach von dem Dara sprach und wie von allein beginnst du zu begreifen, was sie gemeint haben muss. Du ahnst, dass es vielleicht nicht nur mit dem Zufall einherging, dass Hauptmann Weidenfeller davon absah aus Rache oder reinem Menschenhass das Gehöft niederzubrennen und dass die hier lebenden Familien unbehelligt von äußerem Ungemach existieren.

Du hast das Gefühl zu spüren wie etwas auf dem Gehöft sich zu verändern beginnt und sich ein Schleier hebt. Eben jener Schleier des Schutzes, den Dara gewoben haben muss. So als tauche man aus einer Feenglobule auf. Als du zum Mittag des dritten Tages nachdenklich an ihrem Grab stehst wird es dir sehr bewusst: Ja, Dinge werden sich verändern für die Leute hier. Und das sicher nicht immer nur zum Guten. Dara beschützte ihre Familie mit einer mächtigen Hexerei, die sie um das Gehöft legte und das auch im Gehöft wirkte. Ob dies der harmlosen Gestalt ähnelt, die man sich normalerweise nur als Person überstülpen kann oder noch andere Elemente enthielt vermagst du nicht einmal zu erahnen. Du beginnst aber immer mehr zu begreifen, mit welch mächtiger Schwester du es hier zu tun hattest. Und einmal mehr wird dir klar, dass Macht nicht immer nur am Maßstab der Berühmtheit oder des Ranges innerhalb der Schwesternschaft gemessen werden kann.

Und dann blitzt ein weiterer Gedanke auf und deine Entscheidung steht: Es ist an der Zeit weiterzuziehen.

Du möchtest nicht Ziel unangenehmer Fragen werden, wenn die Bauernfamilie gänzlich aus ihrem schöngefärbten Tagtraum erwacht, der scheinbar mit Daras Schutzzauber einherging. Außerdem hat dein Versprechen dem Wiedersehen mit Lisanna der Fahrenden ein neues Gewicht gegeben. Du bist entschlossen das Mögliche für die kleine Dara zu tun, aber das hat vorerst noch Zeit. Du bist sicher, dass die alte Dara auch über ihren Tod hinaus eine schlaue Hexerei vorgesehen hat, die die kleine Dara bis zu einer Rückkehr schützen wird. Mit einem melancholischen Lächeln denkst du an das wundersame Beet. Das hat in den letzten Tagen besonders viele schöne Blüten hervorgebracht. Du denkst an Rondrian. Ihm geht es deutlich besser und er offenbarte dir heute früh, dass er nicht mit dir weiterziehen wolle, wenn du dich entschiedest deinen Weg fortzusetzen. Ihm sei bewusst geworden, dass er dort wo er seine Heimat wähne, vermutlich nicht mehr das finden würde, was er erhoffe. Es sei an der Zeit eine neue Heimat zu finden. Und er habe das Gefühl, dass das Gehöft eine Schwerthand brauche.

Eikiko reist dich aus deinen Gedanken. Er macht dich auf deiner Schulter hockend darauf aufmerksam, dass Beorn zu euch getrottet kommt. Deine Geistesübungen hat er dankbar angenommen, seit er wieder auf den Beinen ist. An dein gutes Zureden und seine Offenbarung erinnerte er sich allerdings nur schemenhaft.  

„Hey Mirya! Was schaust du so nachdenklich drein große Kriegeirn und Beherrscherin der Ängste?“ Du bist froh zu sehen, dass sein kecker Gesichtsausdruck endlich zurückzukehren beginnt.

Veröffentlicht von Meister

Die Mächte des Schicksals.

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6 Kommentare

  1. „Tja, Beorn,“ ich lächle ihn schief an, „das ist der Abschiedsblick. Es ist längst an der Zeit, dass ich weiterziehe – endlich ist der elende Regen vorbei!“ Prüfend mustere ich den Himmel und umgehe damit vorübergehend den direkten Augenkontakt. Wenn er mich hier nicht unterbricht, drehe ich mich dann zu ihm um und lege ihm die Hände auf beide Schultern und blicke ihn prüfend an: „Ja, alles hier ist auf dem richtigen Weg. Und ich muss weiter. Aber ich werde zurückkehren. Wenn die Zeit reif ist.“

  2. Als du ihm in die Augen siehst, funkelt dir finsterer Schmerz entgegen. Beorn duckt sich unter deiner freundschaftlichen Geste weg und macht einen Schritt von dir weg.

    „Aha“ ist alles was er im ersten Augenblick erwidert. Seine Mundwinkel zucken kurz und feindselig funkelt er dich an.

    „Dann gute Reise und Lebewohl“ spuckt er dir mehr entgegen als das er spricht, macht auf den Fersen kehrt und stapft in die andere Richtung davon. Du seufzst.

  3. Du rufst ihm ein „Ich werde dich auch vermissen“ hinterher und lässt die Arme sinken. Du schaust noch einen Moment auf den Punkt, an dem er eben noch stand, folgst ihm aber nicht.

    Zurück auf dem Hof erklärst du Hane und Ethel deine Absicht am folgenden Morgen deine Reise fortzusetzen. Du bedankst dich für die Gastfreundschaft all die Tage und gleichsam dankt dir das Familienoberhaupt für deine medizinische Hilfe sowie für die Vertreibung der Soldaten.

    Die kleine Dara nimmt die Neuigkeit deiner baldigen Abreise erstaunlich gelassen hin: „Großmutter sagte mir vor ihrem Tode ich solle nicht traurig sein. Sie sagte du müsstest gehen. Das ist wichtig und ich soll mich freuen, wenn du mal wiederkommst. Kommst du mal wieder Mirya?“

  4. „Ich habe deiner Großmutter etwas versprochen, kleine Dara, und ich will euch sehr gerne wieder besuchen. Aber erst liegt noch eine weite Reise vor mir, es kann also noch lange dauern, bis wir uns wieder sehen. Wenn du mich nicht vergisst, verspreche ich dir, dass ich auch dich nicht vergesse!“ Ich stupse sie freundschaftlich an, und fange dann an sie zu kitzeln: „Komm, schenk mir noch ein Lachen für den Weg!“

  5. Daras kindlich-freudiges Lachen echot noch in deinen Ohren als du dich mit frischem Proviant, deinen Habseligkeiten und einem guten Gefühl in der Magengegend bald nach dem nächsten Sonnenaufgang auf den Weg gemacht hast.

    Alle standen in der lichter werdenden Dämmerung am Tor und winkten dir nach. Rondrian nahm dich freundschaftlich in den Arm.
    „Pass auf dich auf, große Hexe“ raunte er dir ins Ohr. “Und du pass mir gut auf unsere neuen Freunde hier auf. Auf bald!” Nur von Beorn ist weit und breit nichts zu sehen.

    Das Praiosrund hat sich soeben vom Horizont getrennt und die Strahlen kitzeln dir auf der Nase. Es scheint ein schöner Tag zu werden. Du atmest tief durch und machst dich erneut auf den langen Weg gen Süden.

    Wohin gedenkst du deinen Schritt zu lenken und was sind deine Pläne? Hast du ein bestimmtes Ziel oder geht es abenteuerlustig einfach nur drauflos in grob südlicher Richtung?

  6. Tatsächlich lasse ich meine Schritte von meinem Gefühl lenken. Haben wir doch gerade festgestellt, dass Satuaria meinen Fuß wohl lenken wird. Außerdem ist ein Teil von mir noch zu sehr damit beschäftigt sich zu fragen, warum ich mich ärgere keinen schöneren Abschied von Beorn hingekriegt zu haben. Schließlich beschließe ich das das gefälligst sein Problem ist, und nicht meins und locke mit einem Schnalzen Eikiko herbei. Auch ihm zuliebe gebe ich einem Waldweg den Vorzug über einen Feldweg, wenn sich diese Wahl stellt, gucke aber, dass mich der so ausgewählte Pfad nicht gerade im Kreis oder nach Norden führt. Auch möchte ich nicht unbedingt noch einmal am Trollgrab/Schlachtfeld/ und dem ehemaligen Lagerplatz von Weidenfeller vorbei. Ich habe nur soviel Proviant dabei wie ich tragen kann, ohne dass ich mich abschleppen muss – weiß ich doch, dass Wälder und Flüsse hier mich nähren können. Wenn Eikiko genug durch die Bäume getobt ist, trage ich ihn ein Weilchen auf der Schulter und plaudere mit ihm. Wie schön, ein wenig Zeit nur für ihn zu finden, in einer erfreulichen Umgebung, und ganz ohne Anstandsregeln, Versteckspiele und Unterbrechungen. Ich erzähle ihm von Dara und Dara und dem Versprechen, dass ich gemacht habe. Spekuliere über die Zukunft der Kleinen und des Gehöfts, Beschwere mich über Beorns Unreife und habe durch die jüngsten Ereignisse bestimmt „Gesprächsstoff“ für mehr als einen Tag parat, sollte nicht etwas dazwischen kommen. Dann irgendwann aber versiegt auch mein Redefluss und ich bin tatsächlich im Hier und Jetzt angekommen. Wie schön die Sonne scheint. (?) Ich genieße – sollte sich nichts anderes ereignen – einige Tage isoliertes querfeldein Wandern und von der Hand in den Mund leben mit Eikiko, danach wird es mir fade, nur meine eigene Stimme zu hören. Ich werde dem nächsten Pfad den ich entdecke folgen zum nächsten Weg, der nach Süden führt, und der vielleicht irgendwann zu einer Straße wird, auf der man Menschen begegnet.

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