Es vergehen nur wenige Minuten, bis die Tür zum Audienzsaal seiner Spektabilität sich wieder öffnet. Minuten, in denen du dich mit Yali mit Hilfe von Händen und Füßen über nicht viel mehr als die Wiedersehensfreude und euren Gesundheitszustand austauscht. Deine Versuche, ihm von den Lippen zu lesen, bleiben vorerst von wenig Erfolg gekrönt, denn störende Wortfetzen eines mit eindringlicher Stimme geführten Streitgesprächs dringen parallel durch Ramals Ohren in dein Bewusstsein. “Es wundert mich, dass die Shanja…. Ein Affront… uns überlassen… Konsequenzen”
Aber schon verstummen die Sprecher und winkt der Junge an der aufschwingenden Tür dir, einzutreten.
Das Bild, dass sich dir bietet, bildet einen gewissen Kontrast zu den eben mitgehörten, scharfen Worten. Auf seidenen Kissen sitzen im Schneidersitz, ganz in tulamidischer Tradition, zwei Personen vertraulich bei Wasserpfeife und Tee beisammen. Zwei undeutbare Mienen blicken dir entgegen. Rechts der Akademieleiter und neben ihm, eure Hauskatze auf den gekreuzten Unterschenkeln, Yasmabith. Ein nur dir erkennbares Leuchten erfüllt ihre Augen, als sie deiner ansichtig wird, und dann ein unmerklicher, anerkennender Blick zwischen dir und Ramal hin und her huscht. Ein Nicken. Und die Erwartung deiner Reaktion.
Meine Mundwinkel zucken kurz und ich verstecke mein Lachen hinter einer Maske der Ernsthaftigkeit. Ich nicke dem Akademieleiter zu: „Ihro Spektabilität“
Dann wende ich mich an meine Großmutter, schaue ihr noch immer ernsthaft, aber tief in die Augen „Mālika Beysa Yasmabith von Nasir Malkid, Enkelin Chalibahs und Schwester der Naukarom Satuariâ, ich bin sehr erfreut euch zu sehen.“
Ich deute eine höfische Verbeugung an, lasse dabei aber nach wie vor meine Augen sprechen und der Schalk funkelt ihr entgegen.
Sollte sie dabei Anstalten gemacht haben aufzustehen, so halte ich nur noch einen Herzschlag lang die Situation aus, ehe ich ihr um den Hals falle: „Oh Nana, ich habe dich so vermisst!“
Ich möchte Ramal so schnell es geht an meine Seite bitten um verstehen zu können, was gesprochen wird.
(Sollte Großmutter auf ihrer Sitzstatt verbleiben, so werfe ich mich seitlich von ihr auf die Knie und umarme sie dann entsprechend in sitzender Position. Die Anrede „Mālika“ bedeutet Lehrerin und die Naukarom Satuariâ ist „unsere“ Schwesternschaft).
Du kniest dich an ihre Seite und bevor du deine Umarmung beginnen kannst bringt dich deine Großmutter mit einer Handbewegung zum Schweigen. “Ist es also wahr, was du mir geschrieben hast, und was Spektabilität ibn Jassafer mir berichtet? Deine Selbstüberschätzung hat nicht nur zur Zerstörung von Akademiegebäuden geführt, sondern auch ein Menschenleben gekostet? Ist das ein Verhalten, das einem Nachfahren Chalibahs würdig ist, Enkel?” Die Härte ihrer Worte steht im Kontrast zu der Wärme ihrer Augen und auf einmal begreifst du. Es ist keine Schelte. Es ist ein Auftritt auf dem sozialen Parkett. Es geht nicht um dich, sondern um das Auftreten eurer Schwesternschaft. Darum, dass deine Großmutter vor dem Akademieleiter ein Gesicht zu wahren hat und klarstellen will, dass Hexen in der Lage sind, ihre Probleme selbst zu lösen. Vielleicht geht es um noch mehr, auf jeden Fall aber ist die Sache politisch.
Für einen Lidschlag bleibt mir meine Freude im Halse stecken. Ramal, der an meine Seite gesprungen ist, spannt sich merklich an, so wie auch ich mich spanne. Beinahe gleichzeitig beginne ich zu verstehen. Tausend Dinge gehen mir durch den Kopf, als ich zunächst denke: “Ein Tanz also, nun gut”
Direkt danach geistert einen Herzschlag lang der Name Maruch in meinem Kopf herum und wird abgelöst von der seltsamen Erkenntnis, dass die verhasste Natur so viel ehrlicher und direkter ist als die Koketterie auf politischem Parkett. Sollte es ernsthaft so sein, dass mir die Khom auf einmal mindestens gleichsam einladend erscheint wie unser Palast daheim.
Dann kehrt die Freude über das Funkeln in den Augen meiner Großmutter zurück. Gerade noch rechtzeitig, ehe mein Schweigen als Affront gewertet werden könnte, streichle ich Ramal beschwichtigend durchs Fell, bleibe noch kurz in der Hocke und antworte: “Ja, all das ist wahr, Mālika. Alles, was ich schrieb, hat sich so zugetragen.”
Ich erhebe mich peinlich darauf achtend Ramals Körperkontakt nicht zu verlieren, lasse den Blick demütig gesenkt und warte ab. Ich lasse ihre letzte Frage unbeantwortet. Ich muss erspüren was für einen Tanz wir hier tanzen und welchen Impuls sie von mir erwartet, deshalb warte ich ab, ob sie noch einmal nachsetzt.
Sollte ich keine deutbaren Impulse empfangen gebe ich den jetzt zerknirschten Enkelsohn und würde – so sie ihre Frage wiederholt – ein kleinlautes “Nein, Nana” verlauten lassen und wie ein begossener Stubentiger auf der Stelle stehen bleiben bis man mir einen Platz weist.