Ihr meint den hübschen jungen Mann, der soeben den Laden verließ? Sahib, das ist der Sohn des Bey Yussuf. Oh ja, da schaut ihr, was? Hättet nicht gedacht, dass so jemand in diesem Laden kauft, was? Ich sagte euch doch, meine Ware ist erstklassig. Und ich verrate euch noch etwas: Ich bin recht gut mit ihm befreundet, müsst ihr wissen. Glaubt nicht ich hätte euren Blick nicht bemerkt. Jede junge Frau ist von seiner Aura verzaubert. Aber seid gewarnt: Er weiß das allzu gut!
Wenn die Glut seiner dunklen Augen auf euch fällt Sahib, dann schaut besser weg, ehe es ihm noch gelingt euch mit seiner sonoren Stimme gänzlich in seinen Bann zu ziehen. Denn seine Stimme ist reines Ashtarra. Ja, ja, seine Großmutter ist Jasmabith, die eine Konkubine Sultan Hasrabals gewesen sein soll und eine veritable Ḍāyana. Und man sagt, er sei der Sohn einer Dschinni. Seine Sherwani ist gewoben aus reinster Luft. Deshalb umschmeichelt sie so gefällig seinen schönen Körper. Ich weiß, dass er diese traditionellen aranischen Kleidungsstücke liebt. Man solle jeden Tag Hochzeit feiern, so sagt er mir oft. Sind euch die Stickereien aufgefallen? Und erst der Schal. Seid nur gewarnt. Gelingt es ihm nicht, euch mit seiner Stimme einzufangen, so tut es dieses goldbestickte Stück aus Samt und Seide. Und stellt euch nur vor: Jede Woche kommt ein Khussa-Spezialist extra aus Anchopal angereist, um dem Bey eine Auswahl neuester Schuhe vorzustellen.
Nun, wenn ihr möchtet, erwähne ich gern beiläufig euren Namen, wenn er mich das nächste Mal besuchen kommt. Aber seid gewarnt. Er wird euch das Herz brechen, dessen seid euch gewiss, Sahib!
[Yali, Dscheridans bester Freund im Gespräch mit einer Kundin]
Dscheridans Erziehung – Der Sohn Satuarias
„Bitte? Ich höre wohl nicht recht! Hat Iribaars Irrsinn von dir Besitz ergriffen, Jasmabith? Ich glaube du bist von Satuaria höchst selbst verlassen!“
„Sprich nicht in diesem Ton mit mir, Ferushan, oder hast du vergessen, wen du vor dir hast? Ich bin die Enkelin Chalibahs die eine Eigeborene war, solltest du das vergessen haben. Das Erbe und die Kraft d…“
„Pah, sich auf den Lorbeeren der Vergangenheit zu betten ist immer ein Leichtes, Jasmabith. Ich glaube trotzdem, dass dein Urteilsvermögen dich verlassen hat. Es ist Irrsinn. Keine Tochter Satuarias vor dir hat das je gewagt.“
„Das wiederum ist ein Irrglauben deinerseits, liebe Feru. Die Fahrenden tun dies alle Nase lang und niemand behelligt sie dafür. Lessalina mit den un…“
„Wie kannst du es wagen … die fahrende Gemeinschaft, eine Bande verlauster Herumtreiber, die das Erbe Sumus beschmutzen, mit den Töchtern der Nacht zu vergleichen, Jasmabith?! Das beweist nur wie fehlgeleitet und verbohrt du bist. Wir sind die Naukarom Satuariâ, vergiss das nicht!“
„Dein Standpunkt hast du nun klar gemacht, doch deine Argumente sind Wenige. Wobei ich einräume, dass dein Eifer für sich spricht. Nun lasst uns denn abstimmen. Wer ist auf meiner Seite und wer ist der gleichen Auffassung wie unsere Schwester Ferushan, dass ich es nicht tun sollte?
… Nun, das sind 16 Schwestern zu 4. So ist es denn entschieden. Ich werde meinen EnkelSOHN zum Hexer ausbilden um das Erbe Chalibahs zu wahren.“
„Nun gut, Jasmabith, dann sei es so. Es ist in demokratischer Weise entschieden worden und ich füge mich. Wir alle 20 Schwestern werden dich bei deiner Aufgabe unterstützen. Auch wenn ich hinterher nicht hören möchte, dass ich dich nicht gewarnt hätte …“
[Streitgespräch der Jasmabith und der Ferushan vom Zirkel der Naukarōṁ Satuariâ]
Dscheridan wurde von seiner Großmutter zum Hexer ausgebildet. Seine Mutter war ein Jahr nach seiner Geburt verstorben, und auch Jasmabith hatte nur einem Kind das Leben geschenkt, so dass Dscheridan allein als Nachfolger seiner Großmutter in Frage kam. Sie lehrte ihn alles, was sie einst von ihrer Mutter und ihrer Großmutter gelernt hatte. Er ist als ihr Nachfolger ein lehrsamer und ehrgeiziger Schüler, lässt aber sehr zum Leidwesen seiner Großmutter allzu oft den nötigen Ernst und den angemessenen Respekt vor dem Hexenwerk fehlen. Gerade weil die Familie auf eine so lange Ahnenreihe von mächtigen Hexen zurückblicken kann, ist Jasmabith dies ein Dorn im Auge und lässt sie gelegentlich an ihrem schwerwiegenden Entschluss zweifeln.
Dscheridan ist zu einem rechten Lebemann und Schwerenöter herangewachsen, der die Hexerei vor allem als Mittel zum Zweck ansieht, seine Ziele zu erreichen. Und diese Ziele sind für den jungen Mann augenblicklich der pure Genuss des Lebens und vor allem andere attraktive Gleichaltrige. Immerhin ist dies ein Wesenszug aller felider Rassen und zeugt von einem starken Seelentier.
Zu viel von seinem Vater sei in ihm, beklagt sich Jasmabith allzu oft. Der nennt als Norbarde ein recht sonniges Gemüt sein eigen und genießt es – anders als andere Männer – dass die Schwiegermutter das Sagen im Hause innehat. Von seiner Seite hatte Jasmabith nie eine hilfreiche strenge Hand zu erwarten …
Chalibah war eine großartige Hexe, ich selbst habe sie noch persönlich kennengelernt. Sie war eine Eigeborene, eine von Satuaria besonders gesegnete Tochter, deren Lebensspanne weit über die unsrige hinaus geht.
Doch nicht nur diese Gabe machte sie zu einer außergewöhnlichen Frau: Ihre Schönheit war, wie du dir sicher denken kannst, sprichwörtlich. Doch auch mutig war sie, verwegen auf ihre Art. Ihr Einfluss war groß, sie teilte die Bettstatt von vielen mächtigen Männern – du bist alt genug, dass ich dieses Thema vor dir ausbreiten kann – und du weißt, dass die Leidenschaft in jeglichem Thema eine so wichtige Rolle spielt.
Die Leidenschaft des Gegenübers zu wecken und zu den eigenen Zwecken nutzbar zu machen ist eine hohe Kunst, die viel Übung verlangt. Zwar ist die Rationalität ein leicht einzurennendes Bollwerk, doch der unterdrückte tierische Instinkt bei Nichthexen ist im hintersten Winkel des Bewusstseins verborgen, so dass man erst den richtigen Punkt treffen muss um der Tierhaftigkeit die Möglichkeit zu geben, sich Bahn zu brechen. Es verhält sich in gleicher Weise wie bei der Zauberei, beim Fliegen oder bei der hohen Kunst des Fluchens. Die kanalisierte Macht der Gefühle ist ihr Schlüssel. Chalibahs Blut fließt in deinen Adern mein junger Chātra und lieber Pōtā.
[Jasmabith im Gespräch mit ihrem Enkel]
Dscheridans Leben – Der Sohn des Beys
Dscheridan genießt es, der Spross eines Beys zu sein. Als einziger Sohn der Hauptfrau Juchows, wie sein norbardischer Vater eigentlich heißt, genießt der die Annehmlichkeiten des aranischen Adels. All der Prunk hat ihn weich und auch eine Spur arrogant gemacht, ohne dass sein Charakter dabei komplett verdorben wurde. Dscheridan kennt es nicht anders, als das ihm beinahe jeder Wunsch gewährt wird. Die strenge Erziehung seiner Großmutter war für ihn fremdartig und ein großer Kontrast zu seinem vorherigen Leben. Aber selbst Jasmabith war nicht in der Lage den Ehrgeiz des Jungen zur Gänze zu entflammen und ihm die Ansicht auszutreiben, dass das Leben nur ein Spiel sei bei dem einem alles geschenkt würde. Wie oft foppte er sie, nutzte seine magischen Fähigkeiten auf andere als die gedachte Weise und tat Verbotenes, nur um seine Großmutter zu ärgern. Und selbst die Wahl seines Fluggerätes basiert neben der Entscheidung zu etwas absolut Extravagantem auf Überlegungen, wie man die Großmutter ein wenig Ärgern könne.
Über Dsches Freund Yali
Yali musste früh das Geschäft seines Vaters übernehmen, eines talentierten Feinschnitzers. Hesinde und den Zwölfen sei’s gedankt, ist Yali ähnlich talentiert (und geschwätzig) wie sein Vater und so konnte das Geschäft gut weiterlaufen. Dennoch lernte Yali früh die ganze Härte des Lebens kennen – im Gegensatz zu seinem Freund Dscheridan.
Die beiden begegneten sich im Palast, als Dsches Vater eine Auswahl an Schnitzereien für eine Festlichkeit auswählte. Dsche war sofort Feuer und Flamme sich mit dem hübschen Tulamiden anzufreunden. Zwischen den unterschiedlichen Burschen entwickelte sich tatsächlich eine Art Freundschaft, besuchte Dscheridan Yali doch regelmäßig in seinem Laden. Yali wiederum wurde von nun an häufiger auf die Festlichkeiten des Bey Yussuf eingeladen. Sehr zu Dsches Leidwesen interessiert sich Yali allerdings nur für die Augen schöner Frauen und komischerweise brachte er es nie recht übers Herz Yali magisch zu beeinflussen.
Yali war es auch, der Dscheridan seinen magischen Stecken anfertigte: Eine längliche, kunstvoll gearbeitete Holzplatte mit allerlei Verzierungen und Schnitzereien, die Dsche seiner Großmutter mitgab, um sie mit der Hexensalbe bestreichen zu lassen.
Aranische Begriffe
- Chātra
- Schüler
- Mālika
- Meister(in)
- Śikṣaka
- Lehrer(in)
- Jōśa
- Leidenschaft