Zwiegespräch (12)

Du hast Schwierigkeiten, der alten Frau noch einmal so direkt ins Gesicht zu blicken, als du ihr erklärst: „Ich gebe zu, es war am ehesten der Gedanke an meine eigene …“ – du zögerst kurz – „… Großmutter, der mich hierher geführt hat. Sie hat mich die Heilkunst gelehrt, und vieles was ich weiß. Auch wenn wir nun getrennte Wege gehen, halte ich ihr Andenken in hohen Ehren, und wollte daher sehen, ob meine bescheidenen Künste hier von Nutzen sein können … Und dann war da noch die Neugier auf Eure „große Eule“, die mir die kleine Dara so dramatisch geschildert hat – den Anblick wollte ich mir nicht entgehen lassen …“
Ein kurzes Lächeln huscht über das Gesicht der Alten. Kaum mehr als ein Zucken der Mundwinkel, aber immerhin eine nicht abweisende Reaktion, denkst du bei dir. „Uzuul ist ein sehr schönes Tier, nicht wahr? Ich bin sehr bemüht Dara die Angst vor ihr zu nehmen. Dara ist ein aufgewecktes Kind, nicht wahr?“ antwortet sie dir, nicht ohne Stolz in der Stimme. „Oh ja, sie hat mir gleich erklärt, wer hier wer ist, und war in ihrem Eifer kaum zu bremsen.“ Du musst lächeln und daran denken, dass sie dir sogar einige der Tiere im Stall mit Namen vorgestellt hatte. „Sie schließt Fremde für gewöhnlich nicht so schnell ins Herz“ murmelt Dara, noch immer mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen. „Ihr scheint eine gewisse Seelenverwandtschaft zu haben … du und meine kleine Enkelin.“ Sie legt den Kopf schräg, so als wäge sie etwas ab, entschließt sich dann aber zu schweigen und weiter Wissend ihren Blick auf dir ruhen zu lassen.
„Soll das etwa heißen …“ unvermittelt brichst du ab.
„Hör zu, Dara, ich bin nicht besonders gut in dieser Heimlichtuerei. Ehrlich gesagt sogar ziemlich schlecht, aber Rauma – meine ‚Großmutter‘ – hat mir oft genug eingebläut Fremden gegenüber nicht zu schnell Geheimnisse preiszugeben … Aber bei dir hatte ich so ein besonderes Gefühl. Hhmm, … Dara sagte, du könnest gut Geschichten erzählen. Vielleicht kannst du mir die Geschichte von Uzuul erzählen, wenn du magst, oder deine? Dann komme ich nicht in Versuchung zu viel von mir zu erzählen?! Und ist es eigentlich ein Zufall, dass die kleine Dara nach dir benannt ist?“ sprudelt es unvermittelt aus dir heraus, als dir die vielsagenden Andeutungen der Alten zu viel werden. Langsam hebt Dara ihre Hand. Zuerst bist du etwas irritiert, als sie dir immer näher kommt, doch dann streichelt sie zärtlich über deine Wange und wieder stiehlt sich dieses irritierende Lächeln in ihr Gesicht. „Mirya.“ sagt sie sehr gedehnt, so als ob sie über die Schönheit deines Namens befinde. Ungerührt von deinem plötzlichen Redeschwall beginnt die sie wieder zu sprechen: „Die Heimlichkeit ist tatsächlich nicht jedem gegeben. Rauma war deine … Großmutter? Hat sie dir deinen Namen gegeben?“
Etwas unwillig verziehst du das Gesicht. Hat sie dir nicht zugehört, oder fordert sie – gerade weil du Probleme hast, sie anzulügen – einen Fehler deinerseits heraus? Auf der anderen Seite glaubst du nicht mehr, dass dein Gefühl dich trügen kann, was eine Seelenverwandtschaft zwischen euch angeht. Deshalb kann dir nichts mehr passieren … oder?!
„Ja – äh, nein. Ich weiß gar nicht genau. Ich heiße schon Mirya, solange ich mich erinnern kann.“ Du schaust dich hilfesuchend um und weist auf den Schrank hinter euch „Ein schöner Schrank ist das!“ Völlig aus dem Zusammenhang gerissen beginnt die Alte wieder zu sprechen: „Es ist nicht so, als hätte ich Uzuul gefunden, wenn du das glaubst. Es ist vielmehr so, dass er vor vielen Jahren mich fand. Es war lange vor deiner Geburt und deine Großmutter war wohl noch eine junge Frau, als er sich schützend auf meine Verfolger stürzte … auch ich war damals nicht heimlich genug gewesen, mein Kind.“
„Dann stimmt es also doch! Aber warum kann ich es nicht sehen?“ unterbrichst du Dara aufgeregt. „Du bist sehr ungestüm, Kind.“ Sie ergreift deine Hand.
Urplötzlich ertönt ein furchteinflößendes Geräusch hinter dir. Du schnellst herum und siehst nur einen großen Schatten auf dich zukommen. Du kannst einen kurzen Aufschrei nicht unterdrücken, als neben euch auf dem Bett die eben noch so leblose Eule landet. Mit großen schwarzen Augen schaut sie dich ebenso vielsagend an, wie die alte Frau. Du zuckst zusammen: „Das gibt es doch gar nicht!“ Dara lässt sich vernehmen: „Ich habe es 93 Götterläufe lang geschafft, nicht einmal meine Familie etwas ahnen zu lassen und du schaffst es, dass man binnen weniger Minuten alles über dich weiß.“ Sie streicht der Eule über das Gefieder und schüttelt dabei beinahe unmerklich den Kopf. Es scheint, als würde sie dich tatsächlich tadeln. „Rauma.“ sagt sie dann ebenso gedehnt, wie sie eben deinen Namen geraunt hatte. Du wirst ob ihrer Anschuldigung ein bisschen rot: „Ich rede nun mal gerne … aber ich denke doch auch, dass mir von dir keine Gefahr droht …“ Den zweiten Satz sagst du zögernder, als du das eigentlich gewollt hast und es ist auch mehr eine Frage daraus geworden.
„Kennst du dich in der Tierwelt aus, mein Kind?“ fragt sie jetzt, wieder einmal das Thema wechselnd. Dich verwirren ihre zweideutigen Fragen zunehmend. Worauf will Dara eigentlich hinaus? Unwirsch antwortest du: „Äh – ein wenig … Wenn du meinst, ob ich mehr über Eulen weiß, dann – nein.“  „Ist dein Gefährte bei dir, liebe Mirya?“ Schon wieder eine ganz andere Frage. Außerdem scheint gerade ihr Blick von ihrem versonnenen wohlwollenden Blick zu einem lauernd funkelnden zu wechseln. Ein solcher Blick lässt weniger gute als eher böse Absichten vermuten. Du versuchst dich gedanklich wieder zusammenzureißen und dich von ihr nicht nervös machen zu lassen. „Ah, sie will noch mehr über mich wissen, die alte Hexe … na dann soll sie mal gucken, was sie damit anfangen kann …“ Ob sie dein Seelentier vielleicht verwirrt?
„Ja, ist er in der Tat, ich werde sehen, ob er Lust hat, herauszukommen – ich fürchte Uzuul jagt ihm vielleicht etwas Angst ein.“ Du kramst in deiner Tasche „Hey, Eikiko, komm doch mal her, hier will dich jemand kennenlernen! Ich hatte dir doch auch noch eine Extraportion Nüsse versprochen“ Du hältst ihm eine Nuss hin, die du aus einer Hemdtasche herausholst.

Während du noch damit beschäftigt bist, Eikiko aus deiner Tasche zu locken hakt Dara wieder ein: „Du hast Rauma verlassen, weil sie die falsche Lehrerin für dich war, nicht wahr?“
Du unterbrichst kurz deine Sucherei und schaust ihr bei der Antwort direkt in die Augen „Ja das stimmt.“ sagst du mit fester Stimme. Plötzlich siehst du doch das verräterische magische Aufleuchten in den Augen der alten Frau. Du spürst den Fluss der Kraft und realisierst diese so ähnliche und doch so fremde Gefühlswelt. Nachdem das Aufleuchten erloschen ist, lehnt sich Dara weit in ihrem Kissen zurück, so als ob sie ein plötzlicher Schwächeanfall überkomme.
„Dein Problem ist tatsächlich gleichzeitig deine größte Tugend, meine Kleine. Wie eilig hast du es auf dem Weg, Mirya?“ Die letzten Worte kommen sehr schwach und kaum vernehmbar.
„Meinst du, ich könnte von dir etwas lernen?“ fragst du wieder etwas aufgeregt. „Dafür kann ich mir sicher etwas Zeit nehmen!“ doch du zügelst du dich wieder „aber hast du dafür die Zeit?“ fragst  du freundlich, respektvoll, aber doch mit Zweifel in der Stimme „… und die Kraft?“
Bei dir denkst du darüber nach, wie viel Zeit die Alte überhaupt noch bleibt, ehe das gefürchtete Rauschen Golgaris Erscheinen ankündigt. Fast eine Spur zu respektlos fürchtest du, dass dieser Augenblick gerade gekommen zu sein scheint. Dann allerdings fängt sie sich wieder und richtet sich auf.

Tief atmet sie durch, als du eine weitere Überraschung erlebst: Die Schale mit Suppe schwebt plötzlich an dir vorbei und hält einige Hand breit vor der Alten. Der Löffel schöpft einen Happen und verharrt dann in wartender Position. Eikiko, der halb aus deiner Tasche herausgekommen war und sich von der ersten Nuss hatte locken lassen, schaut ähnlich überrascht wie du. Die Alte scheint mehr Energie in sich zu haben, als du gedacht hattest. Vielleicht hat sie aber auch deine Gedanken gelesen und will sich vor dir beweisen. Andererseits hat sie es wahrscheinlich nicht gerade nötig, sich vor dir zu beweisen. Mit kräftiger Stimme sagt sie nach einem weiteren Augenblick: „Ich kann dir tatsächlich vielleicht etwas beibringen, Mirya. Doch zunächst möchte ich dich bitten, mir zu zeigen, was du in deiner Ausbildung gelernt hast. Kannst du mir eine Salbe gegen gichtige Hände brauen?“
„Und ob ich das kann! Nichts lieber als das!“ lächelst du und kramst dabei in deinem Gedächtnis nach einem Rezept. „Ich hoffe, dass das nicht gerade eine von den schrecklichen Salben war, die man nur bei Vollmond und mit dreimal rechtsrum und zweimal linksrum Rühren herstellen konnte.“ denkst du noch kurz, dann aber fällt dir ein, dass eine solche Salbe zum Grundrepertoire von Raumas Kochkunst gehörte. „Ich werde mir besorgen was ich benötige, und dir morgen die Salbe bringen, wenn dir das recht ist“ „Gut mein Kind. Lass mich nun allein. Sag meiner Schwiegertochter, dass ich für heute Abend niemanden mehr zu sehen wünsche. Wenn du deine Salbe gebraut hast, liefert dir das einen Vorwand sie mir zu bringen. Dann wollen wir sehen, ob ich etwas für dich tun kann. Ach und eines noch … dieses sind einfache Leute. Es ist lobenswert, dass du so ehrlich zu ihnen bist, aber sei trotzdem auf der Hut. Mein Sohn ist götterfürchtig und dumm. Das ist eine gefährliche Mischung für unsereins.“ Du nickst zustimmend. „Ich werde schon auf mich und meine Zunge aufpassen, Dara. Ich wünsche dir eine gute Nacht, und bin froh, dich kennengelernt zu haben!“

Du verlässt das Zimmer und verkneifst dir einen Freudensprung. Auch deine Aufregung versuchst du zunächst wieder zu unterdrücken, bis du ganz sicher alleine für dich bist. „Das ist ja total irre! Hier auf diesem Hof eine Schwester zu treffen! Es wird mir wahrlich schwerfallen, gleich Ethel gegenüberzutreten und mir nichts anmerken zu lassen, während ich ihr erzähle, dass ich eine Salbe machen will und sie vielleicht nach der einen oder anderen Zutat fragen muss“ denkst du.

Am liebsten würdest du gleich mit dem Brauen beginnen, doch jetzt wo du gedanklich die Liste der Zutaten durchgehst, fällt dir auf, dass du um einen kleinen Spaziergang nicht herum kommen wirst. Auf der halben Treppe reißt dich Ethel aus deinen Überlegungen: „Wie geht es ihr?“
„Ach, oh, eigentlich recht gut.“ stotterst du, korrigierst dich aber bei Ethels überraschtem Blick ein wenig: „Ich meine, nicht so schlecht, wie es bei einer Frau ihres Alters der Fall sein könnte. Sie ist griesgrämiger als sie sein müsste.“ erklärst du weiter und könntest dich gleich ohrfeigen. Bei Satuaria, Mirya, nun reiß dich doch zusammen. Heimlichkeit hat sie gesagt, Heimlichkeit. „Jedenfalls wünscht sie für heute niemanden mehr zu sehen.“ „Hat sie ihre Suppe gegessen?“ fragt Ethel im umwenden. „Dara wollte erst nichts essen, hat sich dann aber von mir helfen lassen. Ich habe sie sozusagen gezwungen. Sag mal, habt Alveraniarswurz oder Mädesüß im Haus?“ fragst du, als ihr gemeinsam den unteren Treppenabsatz erreicht habt.
„Nein, ich hatte Alveraniarswurz getrocknet, aber ich fürchte, ich habe das letzte bisschen vergangene Woche aufgebraucht.“
„Schade drum, vielleicht Arnika? Aber Fenchel, den habt ihr bestimmt, oder?“
„Arnika kenne ich nicht, aber Fenchel haben wir, ja. Warum …“
„Ich möchte deiner Schwiegermutter eine Salbe gegen die Gicht brauen. Die muss ich noch heute Abend aufsetzen. Hmm, kannst du für mich den Ofen angefeuert lassen? Dann würde ich nochmal schnell loslaufen und ein paar Kräuter sammeln.“
Ethel stutzt jetzt sichtlich. Vielleicht warst du ein wenig zu enthusiastisch. Nach kurzem Zögern antwortet sie dann aber: „Aber ist das nicht zu gefährlich, so mitten in der Nacht. Ich meine … den Ofen will ich dir wohl anheizen … jemand muss dir aber doch auch noch deine Schlafstelle zeigen …“
„Ich könnte sie doch begleiten“ mischt sich da Beorn ein, der seinen schlafenden Bruder Huckepack auf dem Rücken trägt. „Und ihre Schlafstelle kann ich ihr dann zeigen, wenn wir wieder da sind.“

Perfekt, da hat dir Beorn unwissentlich gut aus der Patsche geholfen. Erlaubst du ihm, dich noch schnell zu begleiten, während du deine Kräuter suchst, oder hindern dich ein Paar zusätzliche Augen an irgendetwas?

Veröffentlicht von Meister

Die Mächte des Schicksals.

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2 Kommentare

  1. Hey, na wunderbar! „Danke Beorn, das ist sehr nett. Aber bist du sicher, das du dich nicht langweilen wirst? Oder weißt du vielleicht ein bisschen um Kräuter bescheid? Als erstes bräuchten wir wohl etwas Licht für unterwegs. Bringen wir doch erstmal deinen Bruder zu Bett, dann kannst du mir die Schlafstätte schon zeigen, und falls es dir unterwegs zu grün wird kannst du auch vorher zurückkehren, wer weiß ob ich so auf die Schnelle alles finde.“
    [Ich bin ganz dankbar jemanden zum plaudern dabei zu haben, vielleicht weiß er ja sogar, wo einige Sachen wachsen. Außerdem kann ich ihn vielleicht nun ein bisschen über San aushorchen. Auf irgendwelche Annäherungsversuche bin ich überhaupt nicht gefasst, falls er sowas vorhaben sollte, und werde diese, sollten sie nur ganz unauffällig sein einfach übersehen, offensichtlichere mit einem fröhlichen Lachen und einem scherzhaft tadelnden „aber Beorn“ abwehren.]

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