Gepard schnaubt auf deine Aufforderung hin bestätigend und der Junge senkt den Kopf. Als du dich abwendest siehst du aus dem Augenwinkel, wie er ein Stöckchen greift und beginnt im Sand zu kritzeln. Das ist dir jetzt aber herzlich egal, denn du beginnst mit deiner Fackel den bisher unerforschten Teil der Höhle abzusuchen.
Du gehst ein Stück den Weg zurück, zu dem Abzweig. Diesen kann man eigentlich kaum so nennen, vielmehr handelt es sich um eine finstere schmale Spalte. Mit der Fackel in der Hand kannst du kaum richtig herunter klettern, deshalb klemmst du sie zwischen zwei Felsbrocken und wagst dich vorsichtig an den Abstieg. Du hältst dich an beiden Seiten an Felsen fest und tastet mit deinem Fuß rückwärts in der Dunkelheit. So erspürst du nach und nach einige natürliche Stufen, die dich in eine dritte, tiefergelegene Höhle bringen. Du angelst dir deine Fackel um die Beklommenheit zu verjagen, die von dir Besitz zu ergreifen versucht – dir schlägt eine uralte und Respekt verlangende Atmosphäre entgegen. Die Luft ist feucht und kühl. Das flackernde Licht erhellt einen etwa 1,5m hohen Höhlenabschnitt, dessen Ausläufer sich weiter vorne in der Dunkelheit verlieren. Der Boden ist fast vollständig von einem Unterirdischen See bedeckt. Nur ein kleiner Streifen verläuft am Rand entlang, und diesem Pfad folgst du kriechend, bis sich schließlich die Decke etwas hebt, und sich nach einer leichten Biegung die Höhle etwas weitetet. Du bist erneut überrascht von der Schönheit, die die Natur hervorzubringen vermag, denn vor dir befindet sich ein versteinertem Wasserfall: Die ganze dir gegenüberliegende Wand ist von einem feuchten Schimmer überzogen. Mehrere Terrassen von filigranen Tropfsteinschleiern bilden eine Treppe, die nach unten hin immer breiter wird, und die in dem kleine Becken endet.
Vor dem Monument kniet in andächtiger Pose ein Mann. Er hat dir den Rücken zugewandt, sein weißes Haar wallt über seine Schultern, durchzogen von mehreren geflochtenen Strähnen, die mit Federn und bunten Bändern verziert sind. Er trägt Lederkleidung, und einen mit Perlen bestickten Gürtel. Du zweifelst nicht einen Moment daran, den wahren Schamanen gefunden zu haben. Andächtig wartest du mehrere Atemzüge ab, lässt den Ort auf dich wirken, und überlegst, ob du den Alten vielleicht seinem Gebet überlassen solltest. Dann wird dir immer klarer, was du nicht gern wahr haben möchtest: Dein Licht ist das einzige hier unten, und der alte Mann sitzt viel zu regungslos da. Langsam und mit einer ehrfürchtigen Begrüßung näherst du dich – keine Reaktion. Vorsichtig legst du deine Hand auf seine Schulter und findest deine Befürchtung bestätigt. Der Körper des Mannes ist so kalt wie die Höhle hier unten und kein Atemzug regt sich in seiner Brust. Er ist unverletzt und auf seinem Gesicht liegt ein Ausdruck der stillen Zufriedenheit. Die Augen sind geschlossen. Der Alte scheint sein Leben im Gebet ausgehaucht zu haben. Wie lange er schon so hier unten sitzt, wagst du nicht zu schätzen, in der Kälte hier unten mögen es vielleicht auch schon einige Tage sein…
Ein Geräusch holt dich aus deinen Überlegungen: Schritte nähern sich aus der Richtung aus der du gekommen bist. Bevor du noch richtig überlegen kannst, was du tun willst schaut das Gesicht des Jungen um die Ecke. Er sieht erstaunt zwischen dir und dem knienden Körper hin und her. Schließlich entfährt ihm ein: “Du bist nicht Schamane!” worauf dir spontan ein: “und du bist nicht stumm!” rausrutscht. Zerknirscht mustert ihr einander.
Nach einem Moment der Stille in dem wir einander anstarren und ich hoffe den Jungen irgendwann dazu bringe als erstes beiseite zu schauen setze ich neu an: „Nun … Da wir ja jetzt das Geheimnis des jeweils anderen herausgefunden haben … Warum sprechen wir nicht offen miteinander? Mein Name ist Dscheridan. Du darfst mich Dsche nennen.“
Bei diesen Worten halte ich ihm die Hand hin und lächle ihn ehrlich freundlich an. Im Grunde genommen bin ich froh die Maskerade für den Augenblick fallen lassen zu können.
Ich hoffe inständig dass der Junge jetzt etwas auftaut und sich durch seine Geschichte etwas ergibt wie man weiter verfahren könnte.
Den Schamanen der hier so angemessen seine letzte Ruhe gefunden hat belassen wir wo er ist. Im Körper der Urmutter, dort wo drei der sechs Elemente so wundervolle Werke erschaffen und in Eingedenk seiner Wirkungsstätte erschiene mir jede andere Beerdigung als Frevel.