Rashid schläft. Er hat mit dir gemeinsam noch Roten Staub von den Felswänden gekratzt und eine Farbpaste angerührt, nachdem du ihm deinen Plan grob erläutert hast. Zwar hat er dir lachend erzählt, dass Körperbemalungen in seinem Stamm traditionell mit scharfen Messern vorgenommen werden, denn die Narbe ziere den Krieger dann für den Rest seines Daseins, aber für einen asketisch lebenden, weisen Mann wäre wohl auch rote Farbe in Ordnung.
Du sitzt grübelnd im Höhleneingang und lässt deinen Blick schweifen.
Gepard ist noch immer verschwunden. Du gestattest dir einen Moment der Trauer, als dir wieder bewusst wird, dass du bei deinem Auftritt morgen auf dein Flugbrett verzichten musst. Ob Larissia es vor dem Sturm gerettet hat? Wo sie wohl sein mag? Und wo der Rest der Karawane? Ob man das Lager wieder finden könnte? Andererseits müssen sie ja weitergezogen sein. So wie du es siehst bieten sich dir für die weitere Reise zwei Möglichkeiten: Du kannst dich von Rashid westwärts bis zur Straße nach ElˋKaram führen lassen. Vielleicht trefft ihr noch Mitglieder der Karawane dort an. Da ihr die Karawane in ElˋKaram aber verlassen wolltet um nach Norden weiter zum Turm der Hexe zu reisen, könntet ihr auch direkt den Weg nach Nordwesten in die Berge einschlagen. Mit Rashid hättest du sicher einen guten Führer für die Reise durchs Gelände. Du grübelst noch ein wenig und hältst Ausschau nach Gepard bis auch du schließlich müde bist.
Rashid weckt dich als die Sonne bereits hoch am Himmel steht. Der Junge hat aus allem essbaren, was er in der Höhle gefunden hat (hauptsächlich körner und wurzeln) einen nahrhaften Schleim gekocht. Da der alte Mann aber wohl sehr spartanisch (oder nur von Geschenken) gelebt hat, ist die Brühe so geschmacksarm, dass du sie nur deinem knurrenden Magen zuliebe herunter schlürfst.
Dann macht ihr euch bereit für den großen Auftritt. Der junge Künster macht ganze Arbeit und verziert deinen nackten Oberkörper mit Linien und Schnörkeln die anmuten wie Windböen, Lichtblitze und Wolkenfetzen über Bergen in verschiedenen Rottönen. Du schmückst dich außerdem noch mit deinem Waquif und einigen Knochen und Fellresten, die du an deinen Schurz hängst.
Gepard lässt sich den ganzen Tag über nicht blicken, und du verspürst eine leichte Enttäuschung, die du nicht genauer zuordnen kannst.
Bei Anbruch der Dämmerung trittst du schließlich in voller “Schamanen”montur vor die Höhle.
Die Ferkinas haben sich bereits versammelt und zeigen sich von deinem zeremoniellen Aufzug diesmal etwas beeindruckter als beim letzten Mal. Als du mit viel Tamtam deinen Auftritt beginnst schauen sie dir gebannt zu. Statt zu schweben entscheidest du dich, eine Abfolge von Waquifattacken und -Paraden darzubieten, die euer Haushofmeister dir vor langer Zeit einzutrichtern versuchte. Du erinnerst dich zwar nur vage an den Ablauf, aber du füllst die Lücken mit Grimassen und furchterregenden Lauten. Eindrucksvoll klappern die Knochen an deinem Gurt dazu. Als du dich so richtig in Stimmung gebracht hast, versinkt just Praios Auge am Horizont. “Die Geister der Lüfte haben mich erleuchtet!” proklamierst du. Mit etwas Konzentration gelingt es dir in der folgenden Kunstpause einen FlimFlam zu wirken. Die entstandene Lichtkugel strahlt fackelhell und bringt deine Silhouette von hinten zum erleuchten. Beeindruckt weichen die Wilden einen Schritt zurück. “Der Junge ist von bösen Geistern besessen” verkündest du. Du setzt einen prophetischen Blick auf und berichtest, wie Rashid auf Geistreise gehen, und sich vielen Gefahren stellen muss. Nur so kann der böse Geist ausgetrieben werden. Dann lässt du den Zauber fallen und sackst in dich zusammen. “Geht jetzt! Es müssen viele Vorbereitungen getroffen werden. Kehrt zu eurem Stamm zurück! Wenn Rashid die Prüfungen besteht, die die Geister ihm auferlegt haben, wird er womöglich zu euch zurückkehren… Wenn nicht – ist er hat er sich ehrenvoll im Kampf gestellt, wie es jeder wahre Krieger der Söhne Merechs getan hätte!”
Jubel. Wildes Gebrüll. Dann tritt einer der großen Männer auf dich zu, holt mit seinem Messer aus, und wendet erst in der letzten Sekunde den Griff zu dir, als er dir die Waffe unter die Nase hält. Schon wieder ein Test denkst du, und bist froh, die Geste gestern von Rashid gelernt zu haben. Aristokratisch gefasst nimmst du das Messer, wiegst es in der Hand und reichst es dann zurück. “Danke. Aber die Reise muss euer Junge allein antreten, sonst wäre seine Reifung zum großen Krieger gefährdet. Wir können keine Begleiter gebrauchen.” Einer Eingebung folgend fügst du hinzu: “aber wenn ihr eurem jungen Krieger noch irgendetwas auf die Reise mitgeben möchtet, ist jetzt ein guter Zeitpunkt.” Der Mann nickt dir kurz zu und zieht sich in die Gruppe zurück. Die Wilden beraten kurz in ihrer seltsamen Sprache und ziehen sich dann zurück. Kein allzu herzlicher Haufen denkst du. Aber schon nach kurzer Zeit kehrt eine von den Ferkinafrauen zurück. Sie führt am Strick zwei kurzbeinige Ponies. Sie sieht dich durchdringend durch die Schlitze in ihrem Schleier an. Dann drückt sie dir den Strick in die Hand, stellt einen Beutel vor dich auf den Boden und kehrt dann zum Rest der Sippe zurück, ohne ein Wort zu sagen. Hufgetrappel und aufsteigende Staubwolken künden kurz darauf vom Abzug der Krieger.
Während du noch grübelst steht Rashid plötzlich neben dir. “Wie hast du das gemacht? Fliegendes Feuer? Nein, schwebendes Feuer?” Er scheint aus dem Höhleneingang heraus alles beobachtet zu haben. Freudig wendet er sich den Ponies zu. “Sia und Ria! Mit ihnen wir können in Berge sein in Nichts komma Null!! Und hier! Dörrfleisch, genug für Tage vier! Oh, du so gut gemacht! Du wirklich Schaman!” Er ist ganz außer Rand und Band. Begeistert schlägt er seine Zähne in einen der dunkelroten Streifen. Du musst gestehen, dass du froh bist nicht wieder den Brei essen zu müssen, wenngleich ein feines Curry dich mehr begeistern würde. Aber all zu lange wird es ja nun wohl nicht mehr dauern, bis du wieder aus einer Schüssel speisen und in einem Bett schlafen wirst, munterst du dich auf.
Rashid tänzelt währenddessen unentwegt um dich und die Ponies herum. Im Gegensatz zu gestern ist er wie ausgewechselt. “Wann du willst aufbrechen, Dsche?” fragt Rashid. “Und welches Ziel ich dich führen?”
Vom Enthusiasmus meines jungen Begleiters beflügelt habe ich einen Entschluss gefasst: Ich bitte Rashid mich nach ElˋKaram zu führen. Vielleicht wartet Larissia dort auf mich. Wenn nicht, weiß ich dann zumindest mit Sicherheit dass sie bereits zum Turm der Hexe weiter gezogen sein muss.
Dadurch dass ich ja nun bereits eine ganze Weile mit der Karawane unterwegs war, glaube ich zu wissen, wann ein geeignete Zeitpunkt ist aufzubrechen:
„Ich denke wir nehmen noch eine Mütze voll Schlaf und machen uns dann in aller Frühe auf den Weg.“
Ich hoffe nicht zuletzt dass der Gepard während der Nacht wieder auftaucht.
Alles Weitere überlasse ich dem voller Tatendrang steckenden jungen Mann. Tatsächlich wird er besser um alles Bescheid wissen als ich und ich überlasse ihm sehr gern die Führung.
Dass mir meine kleine Scharade so gut gelungen ist und ich völlig unerwartet einen anderen Menschen so glücklich machen konnte beschwingt mich und ich schöpfe für den Fortgang meiner Reise neuen Mut. Es hat wohl so sein sollen, dass ich mich in diesen Palast der Schönheiten der Natur verirre. Diesen Gedanken festhaltend schlafe ich hoffentlich gut und tief ein.