Auftakt (1)

Das ist ja ein ausgesprochen schönes Exemplar. Die geschwungene Form der Flügel und das farbenfrohe Auge … Der könnte glatt einer Fee Konkurrenz machen, dieser kleine Schmetterling, der so friedlich auf deiner Fingerkuppe Platz genommen hat …

„AHHHH!“ mit einem lauten Ausruf verscheuchst du das Insekt und stampfst wütend mit dem Fuß auf. So wird das nie etwas mit dem Lesen lernen, wenn du dich nicht mal für eine Stunde auf dieses dumme Buch konzentrierst, dass dir Lisanna die Fahrende gegeben hat. Freilich, die warme Sonne bindet dich ganz vortrefflich an diesen schattigen Platz hier unter der Eiche, aber deine Gedanken kann nicht einmal Praios (verfluchtes) wachsames Auge so leicht an einen Ort binden. Leider.

Also noch einmal von Vorne begonnen. Diese schön geschwungene Glyphe ist der Laut, den alle unten auf der Seite so kunstvoll gezeichneten Gegenstände gemeinsam haben. Da ist ein Laib Brot, ein Baum, ein Besen, ein Buch. Also ein „bö“.
Wenn du es also recht überlegst müsstest du Baum mittlerweile schon als geschriebenes Wort zusammenbekommen. Ein b ist oben abgebildet, ein a kennst du, genau wie ein u und ein m. Fantastisch! Wenigstens geht es ein wenig voran …

„Ich fürchte, wir müssen heute wieder auf deine Kräutersuppe zurückgreifen, liebe Mirya!“ ruft dir Lorian entgegen, der mit hängenden Schultern über die Wiese gestapft kommt. Sein Oberkörper glitzert schweißnass in der Nachmittagssonne. Seinen Waffenrock hat er nachlässig abgestreift, so dass nur noch der Gürtel um seine Taille die warme Kluft an seinem Körper hält. Du kannst dir gut vorstellen, dass ihn jedes Tier des Waldes schon Meilen im Voraus heranschleichen hört, wenn er versucht sich in den schweren Stiefeln zu nähern und ihm dabei nicht nur die Schöße des Waffenrockes sondern auch noch die Stoffbahnen des Oberteiles um die Beine herum baumeln. Außerdem kannst du dir nur schwerlich denken, wie er mit seinem Schwert auf ein Reh losgeht. In den Städten (so hast du es ja auch nun selbst schon erlebt) mag sein Schwert ein respekteinflößendes Instrument sein, die Tiere des Waldes scheren sich, deines Wissens nach, aber nicht um Anmut und Eleganz.
Eichhörnchen, das auf deinem Knie stehend Ausschau hält, scheint der gleichen Meinung zu sein, denn es schüttelt unwillkürlich den Kopf und gibt einen laut des Unmutes von sich, als wolle es sagen: „Armer Tor, du kennst den Wald schlecht!“

Mit lautem Seufzen der Erschöpfung lässt sich der Krieger neben dir ins Gras fallen und lächelt dich entschuldigend an.
„Jagen ist einfach nicht meine Stärke. War es noch nie! Selbst MIT Pfeil und Bogen nicht, und ohne noch viel weniger.“
„Das ist doch nicht weiter schlimm. Sehe ich aus, als wäre ich gewohnt, jeden Abend Fleisch zu mir zu nehmen? Außerdem hört sich das ja geradezu so an, als wäre dem edlen Herren meine Suppe nicht genehm!?“
Eifrig schüttelt Lorian den Kopf und stützt sich auf den Ellenbogen ab.
„Nein, nein, bei Rondras Herrlichkeit! Das wollte ich damit nicht sagen.“ und fügt nach kurzem Zögern hinzu: „Aber ich gebe zu, dass mir ein Stück Fleisch tatsächlich einmal ganz gut gefallen würde. Bist du mit deinem Buch voran gekommen?“
„Ach na ja, es könnt besser gehen …“
„Ich verstehe nicht, warum du so einen Eifer an den Tag legst um lesen und schreiben zu lernen. Ich kann es auch nicht und bin damit bisher immer gut durchs Leben gekommen.“
„Ich sage nur, was dem einen sein Schwert, ist dem anderen sein Federkiel, Ende der Diskussion. Und jetzt ruh dich ein wenig aus, großer Krieger, derweil ich einige Kräuter für euer Abendmahl aus dem Kräutergarten hole.“ Mit diesen Worten erhebst du dich, legst das Buch zu Lorians Kettenhemd, das er auf seiner Jagd hier bei dir gelassen hatte, und machst dich auf den Weg.
[Bitte eine Probe auf das Meta-Talent Nahrung sammeln (MU/IN/FF) würfeln, wobei dein TaW dem Wert (TaW Wildnisleben + TaW Sinnenschärfe + TaW Pflanzenkunde) : 3 entspricht. Die Probe ist um 2 Punkte erschwert; falls du zwei statt nur einer Stunde suchst verdoppelt sich dein TaW.
Du solltest 3 TaP* behalten, damit du für euch zwei ausreichend Nahrung findest.]

Während du den lichten Wald durchstreifst, dein Eichhörnchen immer einige Schritt voraus von Ast zu Ast springend, lässt du wieder einmal deine Gedanken streifen. Du erinnerst dich an den Abschied vor jetzt schon mehr als 10 Tagen. Tränenreich war er. Lanan hat gejault wie ein getretener Wolf, als du ihm offenbartest, dass du nicht länger bei ihm und seinem Rudel bleiben würdest. Viel zu lange hattest du dich der Illusion hingegeben, dass es nett sein könnte, eine Weile bei den Wilden zu leben. Und als Lorian, sein Säckel geschnürt, vor dir stand um in seine Heimat aufzubrechen, hast du dich ihm kurzerhand angeschlossen. Lisanna und ihre Tochter Cell sind auf dem Weg nach Khunchom, der prachtvollen Stadt am Mhanadi, im Land der ersten Sonne. Und dahin willst du auch. Du wirst Lorian in seinem Heimatdorf absetzen und dann weiter nach Süden reisen. Bis zu eurem Wiedersehen möchtest du das Buch durchgeackert haben und Schreiben und Lesen können. Und dann werden die zwei Jahrmarkts…
Eichhörnchen reißt dich mit seinem Gemecker aus deinen Gedanken. Jetzt wärest du beinahe an dem Brombeerenstrauch vorbeigegangen ohne ihm auch nur einen Augenblick deiner Aufmerksamkeit zu schenken. „Bei Satuarias Herrlichkeit, man sollte dich Ohrfeigen und Schlimmeres, Mirya, du dumme Scheunenkatze!“

[Möchtest du bis zu diesem Punkt intervenieren? Falls dir übrigens die Probe auf Nahrung sammeln misslungen sein sollte, dann schließ gleich eine Probe in Orientierung an, ob du dich nicht noch dazu verlaufen hast.]

Veröffentlicht von Meister

Die Mächte des Schicksals.

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